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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind
Autoren: Sandra Luepkes
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Ende.»
    «Ja, ich glaube, mehr gibt die Möhre nicht her. Wir sind ihm schon dicht auf den Fersen. Und zwischen Papenburg und Aschendorf wird es einspurig, Baustelle, dann sollten wir ihn haben. Ende.»
    «Trotzdem, lasst es ruhig angehen. Das Kind meiner Kollegin sitzt mit im Wagen. Ende.»
    «Ach du Scheiße! Ende.»

A31 1,5 km nach Abfahrt Papenburg – Baustelle 180 km/h
    Die orangefarbenen Lichter blinkten, die rotweiß gestreiften Begrenzungspfosten waren schon aus der Entfernung gut auszumachen.
    Was war das? Warum bauten die hier? Diese Autobahn war brandneu, was hatten die neonfarben bekleideten Idioten denn nun schon wieder zu tun?
    Ein Schild kündigte an, gleich würde es eng werden. Zwar hatte der Zivilwagen seinen Abstand auf einmal vergrößert, aber er war nicht dumm, sie hatten mit Sicherheit nicht die Fahrt gedrosselt, weil er ihnen zu schnell gewesen war. Sie hatten gebremst, weil sie sich auf den Straßen dieser Gegend besser auskannten und wussten, dass er gleich in ein Nadelöhr gelangen würde, aus dem es für ihn kein Entrinnen gab. Raste er auf seiner Fahrt in die Freiheit tatsächlich in die erstbeste Falle? So etwas konnte auch nur ihm passieren. Jakob Mangold, der absolute Versager, zu blöd zum Davonrennen, zu dämlich zum Leben. Hatte er tatsächlich geglaubt, er könne es schaffen?
    Die Geräte auf dem Armaturenbrett verschwammen vor seinen Augen. Er heulte. So ein Mist. Warum ausgerechnet jetzt? Alles hatte er so cool gemeistert. Um Aurel Pasat hatte er sich gekümmert, ganz allein, es hatte perfekt geklappt. Alle hatten an Selbstmord geglaubt, alle – sogar Helliger und sein Hausmeister, zumindest wollten sie daran glauben –, er hatte alle hereingelegt bis auf diese Anivia und ihre übereifrige Gastmutter. Und auch der Tod im Moormuseum wäre irgendwie glimpflich für ihn ausgegangen. Wahrscheinlich hätten sie das Rumänenmädchen dafür in den Knast geschickt. So viel Glück musste man auch erst mal haben, dass sich eine Tatverdächtige einfach so dazumogelte, wie um ihm einen Gefallen zu tun. Aber trotzdem hatte er versagt. Hatte es vermasselt. Saß jetzt hier, schob sich langsam auf die Spur, die an der vier Kilometer langen Baustelle vorbeiführte. Hundert Meter vor ihm war ein Bus. Hinter ihm keine Sau. Noch nicht. Gleich wären sie da, das wusste er. Die erste Träne machte sich von seinen Wimpern los, perlte über sein Gesicht. Wann hatte er das letzte Mal geweint? Hatte er überhaupt schon mal Tränen vergossen? Weil alles so beschissen war, sein ganzes Leben, die ganze Lügerei? Nein, er hatte nie geheult, weil da ja immer noch der Traum von Freiheit gewesen war. Der Traum, der nun feststeckte auf der A 31, irgendwo zwischen Ostfriesland und Osnabrück.
    Er hielt an. Der Wagen brauchte nicht lange, um von einhundert runter auf null zu kommen, aber der plötzliche Ruck weckte den Jungen auf. Er rutschte vom Sitz und landete im Fußraum. Sofort heulte er los, dicke Tropfen flossen an seinen speckigen Wangen herunter.
    «Heul ruhig, kleiner Mann», sagte Jakob Mangold. «Das ist gut, wenn du weinen kannst.»
    Dann stieg er aus dem Wagen, lief zur Beifahrertür, öffnete sie, nahm das Kind auf den Arm und trug es zum Seitenstreifen. «Bleib hier am Rand stehen, deine Mama kommt gleich.»
    Der Junge nickte, als habe er verstanden.
    Jakob winkte noch kurz, dann setzte er sich wieder ins Auto. Noch einmal aufs Pedal drücken, noch einmal Tempo hundertachtzig, noch einmal den Lärm hören, wenn der Wagen zu zerbersten droht, noch einmal einen Moment an die Freiheit glauben.

Auf Wenckes Terrasse Bilderbuchfeierabend
    «Anivia, bringst du bitte noch den kühlen Wein mit raus? Den Salat habe ich schon auf den Tisch gestellt.»
    Wencke rückte das Geschirr zurecht, setzte eine Stoffserviette gerade und zündete die Kerze im Windlicht an. Ab morgen sollte das Wetter wieder schlechter werden. Aber heute Abend wollte sie die ungewöhnliche Wärme dieses Monats noch einmal nutzen. Eigentlich war sie nicht der Typ, der Kochbücher wälzte, um dem nach Hause kommenden Mann ein perfektes Dinner inklusive Tischdekoration zu servieren. Und für Axel Sanders hatte sie das ja sowieso nie gemacht, obwohl sie schon mehr als ein Jahr zusammenlebten.
    Aber heute war eine Ausnahme. Der Fall Aurel Pasat war, zumindest für die Polizei, abgeschlossen. Jakob Mangold hatte sich der strafrechtlichen Verfolgung wegen Mordes, schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung entzogen, indem er ihren
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