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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind
Autoren: Sandra Luepkes
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Mountainbike gesehen haben. Meistens fährt Jakob bis zu dieser Kuhweide und lässt dort sein Rad stehen.»
    Das Mädchen mit den verrückten Haaren und dem gebatikten Rock hieß Anette. Sie war Jakobs Mitbewohnerin und war Anivia bei ihrem gestrigen Besuch begegnet.
    Zum Glück war Axel Sanders auf die Idee gekommen, erst einmal zum Naturhaus zu fahren, bevor sie weiterhin orientierungslos durch das Gewirr des Großen Meeres getigert wären. Im Ausstellungsraum war gerade eine Schulklasse unterwegs, Wencke riss das Mädchen mitten aus seinem mäßig interessanten Vortrag über Meedenlandschaften, zerrte es beinahe in eine Nische und löcherte diese Anette hektisch und ungeduldig, sie musste denken, es ginge um Leben und Tod. Ging es das nicht vielleicht auch?
    «Fährt Jakob ein Hollandrad? Dunkelblau? Mit Anti-Atomkraft-Logo auf dem Schutzblech?»
    «Ja, das ist unser Dienstrad. Wieso?»
    «Wir haben es an einem Zaun stehen sehen. Aber das Auto war nicht mehr dort. An den Spuren im Gras konnte man sehen, dass es dort geparkt hatte, aber jetzt …»
    «Ich weiß nicht, wo er steckt. Er hat heute frei. Vielleicht sind die beiden ja nur ein Eis essen gefahren, was weiß ich.»
    Wenigstens war das Handy wieder einsatzfähig, Wencke hatte wie verrückt losgetippt, sobald sie in Richtung Badeufer des Sees gekommen waren und auf dem Display eine Netzverbindung erschien. Ohne Erfolg natürlich, sonst wären sie ja nicht hier aufgekreuzt. Doch immerhin hatte sich nach einem Anruf bei den Kollegen ihre so verquer klingende Vermutung, dass Annegret Helliger der biologische Vater von Jakob war, bestätigt. Eine zweite Heirat von Jakobs Mutter hatte die Namensänderung von Isselmeer zu Mangold bewirkt. Der Junge schien unauffällig durch sein bisheriges Leben gegangen zu sein. Trotzdem glaubte Wencke nicht an einen harmlosen Spaziergang, schon gar nicht an ein gemeinsames Eis, wie es diese nette Anette vermutete.
    «Nein, hören Sie, wir haben Grund zur Annahme, dass Jakob etwas vorhat.» Hatten sie das wirklich? War es nicht einfach nur ein undefinierbares Gefühl, welches einfach aus Wenckes schlechtem Gewissen resultierte, weil sie einen freien Tag mit Emil drangegeben hatte, um einen Fall zu klären? Und selbst wenn … es war egal. Sie musste dick auftragen, nur dann würde diese Anette sich Mühe geben und vielleicht an Einzelheiten erinnern. «Wir befürchten, dass die junge Frau und das Kind in Gefahr sind.»
    «Wegen Jakob? Ich lache mich kaputt», und das tat sie wirklich, kurz und heftig, bis sie die starren Gesichter von Wencke und Sanders registrierte und augenblicklich verstummte, auch wenn noch immer ein Lächeln ihre Lippen umspielte. «Jakob ist ein ganz Harmloser. Ein Softie. Ein Muttersöhnchen vor dem Herrn. Fast täglich schickt seine Mama ihm Süßigkeiten aus der Heimat. Und er gibt uns nie was davon ab.» Wieder bekam sie keine Reaktion von den beiden, und dann wurde auch Anette endlich ernst. «Na ja, obwohl, bei Hitchcocks Psycho …»
    «Haben Sie ein Foto von ihm?»
    Sie zögerte nur kurz. «Ja, klar, vom letzten Moorfest. Er hat die Hüpfburg beaufsichtigt, da gibt es ein nettes Porträt, auch wenn er einen Regenbogen auf die Wange gemalt bekommen hat.» Sie eilte zum Tresen hinüber, dessen Fläche übersät war mit Tausenden von Faltblättern zum Thema Natur. Trotzdem suchte sie erstaunlich kurz in dem scheinbaren Chaos und kam mit einem Foto zurück, welches sie Wencke reichte. «Das ist er.»
    Wencke schaute nur kurz auf das Bild. Der Mann mit dem Ziegenbart und rötlichen Haaren. Das war er. Sie hatte es geahnt. «Ich habe ihn schon einmal gesehen», sagte sie leise zu Sanders. «Heute Morgen. Im Moormuseum. Er ging durch die Pforte, als ich kam. Er war es, todsicher!»
    Sanders verstand gleich, was es bedeutete: Sie waren noch nicht am Ende des Falles angelangt. Wenn sie eben im Kinderlager einen kurzen Moment geglaubt hatten, der Wahrheit auf die Schliche gekommen zu sein, hatten sie sich getäuscht. Teresa hatte ihnen mit ihrer Geschichte vom fremden Mann keine Lüge aufgetischt. Sie hatte Jakob Mangold gesehen. Sie hatte ihn dabei beobachtet, wie er seinen Vater, wie er Annegret Helliger hatte töten wollen.
    Und was hatten sie über den Täter gewusst? Dass er voller Wut gewesen sein musste, unzurechnungsfähig, rücksichtslos. Es war Jakob.
    O Gott, Emil. Wencke sackte fast in die Knie und hielt sich gerade noch an einer Glasvitrine aufrecht. Sie glaubte, keine Luft mehr zu
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