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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind
Autoren: Sandra Luepkes
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Person darf nichts merken. Er hat ein Kind im Wagen. Mein Kind!»
    Die Meldung wurde bestätigt. Sie war froh darum, denn in diesem Moment floss alle Kraft aus Wencke heraus, sie hätte keinen einzigen Knopf mehr betätigen können.
    «O Gott, Axel …» Sie schaute zu ihm hinüber. Er wagte ein kleines Lächeln, welches ihr wohl Mut machen sollte. «Ich halte das nicht aus.»
    «Doch, Wencke, du hältst das aus.» Seine Hand ruhte kurz auf ihren Oberschenkel. «Du bist eine verdammt starke Frau.»
    Dann legte er wieder beide Hände ans Steuer. Das war besser bei Tempo zweihundert.

A 31 kurz nach dem Emstunnel 170 km/h
    Die Bullen standen vor dem Emstunnel mit einem mobilen Blitzgerät. Als es aufleuchtete, verriss Jakob vor Schreck beinahe das Lenkrad. Vielleicht sollte er doch etwas langsamer fahren? Es war schon das dritte Mal auf dieser kurzen Strecke, dass er richtig Kraft anwenden musste, um den Wagen wieder geradeaus zu lenken. Doch dann sah er im Rückspiegel den großen dunkelblauen VW, der eben noch in der Haltebucht beim Blitzgerät gestanden hatte. Die Scheiben waren verdunkelt, aber er war sich sicher, die Zivilbullen hatten seine Verfolgung aufgenommen.
    Dabei hatte er das Tempolimit am Emstunnel doch höchstens um dreißig Sachen überschritten. Achtzig waren erlaubt, er hatte auf dem Tacho nicht mehr als hundertzehn abgelesen. Veranstalteten die wegen dem Pipifax einen solchen Aufstand? Oder waren sie ihm schon auf den Fersen? So schnell? Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein.
    Er drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Die Kiste rumpelte, als würde sie gleich in alle Einzelteile zerspringen. Knapp einhundertachtzig. Mehr ging nicht. Der Motor dröhnte wie der eines Flugzeugs beim Start. Hoffentlich wachte der Junge nicht auf. Kinder waren unberechenbar. Wenn er ihm nun ins Steuer griff? Er hatte den Knirps nicht angeschnallt, der konnte überall hinklettern.
    «Schlaf, Kindchen, schlaf …», summte Jakob, wie früher sein Vater gesummt hatte, wenn er sich nicht beruhigen konnte, «… dein Vater hütet die Schaf …» Das Lied verfehlte seine Wirkung. Es machte ihn unglaublich nervös.
    Aurel Pasat war auch eines der Schäfchen gewesen, das sein Vater gehütet hatte. Das Lieblingsschäfchen. An dem Tag, als Aurel erzählte, er wolle die Lagerkinder auf jeden Fall mitnehmen, weil Freiheit immer unbezahlbar sei und nichts auf der Welt das Tun von Helliger rechtfertigen könne, an diesem Tag hatten sie auch über Annegret Helliger gesprochen. Aurel hatte gesagt, mit ihr habe er am meisten Mitleid. Sie sei eine so wunderbare Frau, eine Künstlerin, eine tolle Mutter. Die Wahrheit über die Machenschaften im Moor würde ihr Leben zerstören, und er wünschte, er könne das verhindern. Aber es gebe keine andere Möglichkeit. Aurel hatte erzählt, dass er einen Abschiedsbrief geschrieben habe, einen für die ganze Familie, in dem er sich für sein Handeln entschuldigte, und einen für Annegret allein. Es sei ein Liebesbrief gewesen. Ja, Jakob solle nicht so seltsam schauen, er habe sich in diese Frau verliebt. Er sei bereit, mit ihr ein neues Leben zu beginnen, wenn alles so weit sei. Auch wenn sie seine Mutter hätte sein können. Aurel war geschwächt gewesen, als er das sagte. Holländer hatte seinen Getränkevorrat mit destilliertem Wasser gefüllt, damit er kraftlos wurde. Helliger hatte die Idee gehabt, denn die Sache war ungefährlich und bot eine Chance, diesen selbstgerechten Aurel so lange zu lähmen, bis er endlich im Flieger nach Bukarest saß. Um mehr war es eigentlich nicht gegangen. Die Überzeugungsarbeit sollte Jakob leisten. Er hatte das Vertrauen des Au-pair-Jungen, schließlich hatte er sich die ganze Zeit als Aurels Mitstreiter ausgegeben.
    Bei ihrer letzten Begegnung im Moor hatte Jakob ihn regelrecht stützen müssen. Aurel hatte über Kopfschmerzen, zitterige Knie und Schweißausbrüche geklagt.
    «Ich glaube, ich verdurste gleich. Meine Trinkflasche ist leer. Hast du zufällig …»
    Jakob hatte natürlich Wasser dabei, Holländer hatte es am Vormittag gebracht.
    «Mein Gott, wie soll ich die Kinder alle da rauskriegen, wenn ich noch nicht mal gerade stehen kann. Was ist nur los mit mir? Ich fühle mich, als hätte ich gestern einen Kasten Bier allein getrunken. Mir ist schlecht, schwindelig …» Aurel hätte das nicht sagen müssen, man hatte ihm unschwer angesehen, dass es ihm miserabel ging. Und trotzdem hatte er nicht aufgehört, über seine Befreiungsaktionen
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