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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind
Autoren: Sandra Luepkes
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hatten sich die Ereignisse überschlagen, und inzwischen sah es so aus, als sei die Sache mit Jakob und dass Gefahr von ihm ausging doch nur ein Hirngespinst. Aber warum breitete sich die Panik nun trotzdem in ihr aus wie das heiße Gefühl, wenn man, aus dem Schnee kommend, eine Hundertgradsauna betrat?
    «Wencke, was ist los?» Sanders starrte sie an. Wahrscheinlich war sie rot oder bleich oder sonst wie im Gesicht geworden, die Hitze prickelte auf Stirn und Wangen.
    «Können wir nach Emil suchen? Jetzt? Sofort?»

Im Lkw auf der Ladefläche
    Ladislaus, bist du hier? Vielleicht …
    Als es eben noch hell war, dieser kurze Moment, als der Muskeltyp mich hier reingewuchtet hat, da habe ich in alle Gesichter geschaut. Ängstliche Gesichter, gleichgültige Gesichter, sogar ein paar fröhliche Gesichter. War deines dabei?
    Eines der Kinder – ich kann es in der Dunkelheit nicht erkennen, aber ich glaube, es ist der kahlköpfige Junge – kann sprechen. Er sagt, ja, du seist normalerweise hier gewesen. Bis vor ein paar Tagen. Da habe der starke Mann dich mitgenommen und nicht wieder zurückgebracht. Sie hätten dich vermisst und nach dir gefragt. Der sanfte Mann, der mir vorhin die Hände auf die Schultern gelegt hat, es ist Aurels Gastvater, dieser Mann hat gesagt, du seist wieder nach Hause zurückgekehrt. Aurel werde dich mitnehmen. Und jedem der Kinder stehe es frei, ebenfalls nach Rumänien zu gehen, wenn es wolle. Aber es habe niemand «Hier» geschrien. Also seiest nur du – Ladislaus – gegangen. Und ich bin mir sicher, du hast auch nicht ausdrücklich gesagt, dass du heimkehren willst. Du konntest doch noch nicht einmal deinen Namen aussprechen.
    Das ist ein fauler Trick. Sie haben dich verschwinden lassen, weil sie wussten, Aurel wäre nicht ohne dich gegangen.
    Ladislaus. Ich bin so allein. Es wäre so schön, wenn ich dein Haar streicheln könnte.
    Der Wagen beschleunigt so stark, dass ich ein Stück nach hinten rutsche. Einige Kinder schreien erschreckt auf. Ich halte mich an einer Bodenschlaufe fest. Es ist sehr laut. Dann werde ich mit einem Mal von einem gewaltigen Ruck nach vorn geschoben, zum Glück kann ich mich halten, aber die anderen Kinder prallen gegeneinander, sie weinen noch lauter. Der Wagen scheint zu schlingern, von links nach rechts, immer heftiger, es tut in meinen Handflächen weh, wenn ich das Befestigungsseil zu halten versuche und es mir die Haut zerreißt. Wir kreischen jetzt alle. Die Bewegung verändert sich, wir stoppen abrupt, alles dreht sich, schleudert uns herum, nichts ist mehr da, was ich halten könnte. Jetzt sterbe ich, schießt es mir durch den Kopf. Noch nie habe ich so etwas gedacht. Das Leben ist vorbei, das war es, gleich knalle ich gegen die Wand, die Decke, was auch immer, meine Knochen werden splittern und krachen wie bei der Frau im Museum, aber ich werde es nicht mehr hören, weil ich dann schon tot bin. Habe ich Angst? Nein, ich bin wie aus Luft. Die Zeit perlt an mir herunter. Wir drehen uns im Kreis. Oben und unten gibt es nicht mehr. Ein Bein trifft meine Schläfe. Tut das weh? Gibt es Schmerz? Ich fasse nach einer Eisenstange, kann mich halten. Schließe die Augen, aber es ist genauso dunkel, wie wenn ich sie geöffnet halte, meine Arme knicken nach hinten.
    Dann ist es still. Wir liegen. Das, worauf ich jetzt zum Liegen komme, war vorher mal eine Seitenwand oder die Decke. Die Eisenstange ist verbogen, die Metallwand zerrissen, Gras liegt unter mir, feuchte Erde. Ich kann mich atmen hören, mein Herz schlägt noch. Also habe ich es überlebt. Ein paar andere auch, ich höre leises Wimmern. Und jetzt?
    Die Türen lassen sich anscheinend nicht mehr öffnen, ich sehe Hände, die von außen daran zerren, es werden immer mehr, und der Spalt, durch den das Licht eindringt, wird immer größer. Eine Stange schiebt sich hindurch, verkeilt sich im Inneren, das Metall ächzt. Die Tür ist auf.
    Neben mir und unter mir liegen Kinder. Die meisten schreien. Ich habe keine Kraft zu schauen, ob Ladislaus unter ihnen ist. Ich schaue in Richtung Eingang.
    Das stehen so viele Polizisten. Sie schauen herein. Sie haben Angst, dass kann ich sehen. Ich habe auch Angst. Aber ich mache nichts mehr. Ich bleibe liegen.
    Ich werde nicht mehr wegrennen.
    Es war alles umsonst.

Naturhaus Südbrookmerland zwischen Infotafeln und ausgestopften Vögeln
    «Ja, ich erinnere mich. Sie haben gesagt, sie wollten sich am Heikeschloot treffen. Weil wir dort immer diesen Au-pair-Jungen mit dem
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