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Das Siegel der Macht

Das Siegel der Macht

Titel: Das Siegel der Macht
Autoren: Monika Dettwiler
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für die unheimliche Tat erwartete ihn im Churer Bischofspalast.
    Die Freude über seine Ernennung zum Missus war quälender Unruhe gewichen. Alexius sprang vom Bett auf und ging zum Fenster. Sein Blick schweifte von den Dächern zur Stadtmauer mit den Türmen. Dahinter verlor sich der endlose Wald am Horizont. Von der Pfalz selbst war nichts zu sehen, denn die dicken Mauern schmälerten den Blickwinkel. Alexius war neugierig und lehnte sich weit hinaus. Links unten entdeckte er die Giebeldächer der Schule und des Ökonomiegebäudes. Überall sah man, dass die vor der Ankunft des Hofes von König Otto befohlenen Renovationsarbeiten im Gang waren. Von dem neuen Haus für die technischen Räume waren erst die Grundmauern gezogen. Verlassen standen zwei Flaschenzüge neben einem Haufen unregelmäßig geschnittener Steinblöcke. Auf der anderen Seite erkannte Alexius die Kirche mit den Bogenfenstern. Die Mauer entlang bewegte sich eine farbenprächtige Prozession auf das Portal zu.
    Plötzlich wurde der ferne Gesang der Priester durch laute Stimmen übertönt. Unten in der Pfalzhalle gingen die Feierlichkeiten des Osterfests weiter. Alexius lächelte. Nach den Entbehrungen der Fastenzeit genoss Otto die Rückkehr zum fröhlichen Hofleben. Vor allem eine reichliche Tafel. Hundert Speiseplätze, verteilt auf mehrere Tische, standen in der mit Wandteppichen geschmückten Königshalle. Der Monarch speiste auf seinem erhöhten Podest. In angemessenem Abstand auf dem Ehrenplatz zu seiner Rechten ein italienischer Markgraf, zu seiner Linken der Hofkapellan Brun. Otto verehrte den frommen Sachsen mit den graublauen Augen, vor allem in seelischer Not wandte er sich am liebsten an ihn. Brun war Priester und zudem ein naher Blutsverwandter. Otto und Bruns Vater, der Herzog von Kärnten, pflegten als Vettern ein enges Freundschaftsverhältnis. Obwohl Otto erst fünfzehn Jahre zählte, war er eigentlich der Onkel des fünfundzwanzig Jahre alten Brun. Trotzdem galten sie als Vettern und empfanden das selber auch so.
    Der Speisemeister hatte das Beste vom Schwein und vom Schaf in goldenem Geschirr aufgetischt. Dazu gab es Brot, Öl, Hülsenfrüchte und Wein. Die Getreidespeicher von Pavia waren randvoll, und das wollten die städtischen nobiles dem König zeigen. Otto revanchierte sich mit dekorierten silbernen Bechern, die er als Gastgeschenke verteilte.
    Im oberen Stock der Pfalz von Pavia bereitete sich der frisch ernannte Missus Alexius für einen Ausritt vor und trat auf den Gang hinaus, als plötzlich der König im Sternenmantel vor ihm stand. Otto war zartgliedrig und dunkelhaarig, sein Gesicht fein geschnitten. Die ungewöhnlich großen braunen Augen wurden durch buschige Brauen noch stärker betont. Mehr als bei den meisten Menschen waren sie der Spiegel seiner Seele. Häufig war Ottos Blick melancholisch, aber in glücklichen Augenblicken machten viele kleine Fältchen ihn strahlend. Wenn der König bei besonderen Gelegenheiten den mit goldgestickten Sternen übersäten Umhang trug, schien das esoterische Erbe seiner byzantinischen Mutter Theofanu die kraftvolle ottonische Abstammung zu überdecken.
    »Leg den Mantel ab, Alexius. Du wirst nicht ausreiten. Ich muss mit dir sprechen.«
    »Ist die Tafel schon zu Ende?«
    »Siehst du nicht, dass der König vor dir steht? Du bist vorzeitig weggegangen. Das ist nicht üblich in der Pfalzhalle.« Der gespielt ernste Ton konnte nicht über Ottos gute Laune hinwegtäuschen.
    »Ich fühlte mich nicht gut. Die Ehre … die Nachricht von meiner Ernennung zum Boten war wohl zu viel.« Alexius kniete nieder. »Dank von ganzem Herzen. Immer werde ich dem ottonischen Herrscherhaus treu dienen.«
    Otto zog den fast gleichaltrigen Missus am Arm durch den mit Fackeln gesäumten Gang ins Königsgemach. Es war dreimal so groß wie die Gästezimmer und roch trotz des lodernden Kaminfeuers nach Feuchtigkeit.
    »Lass jetzt die Ehrerweisungen, Alexius. Nicht der Herrscher, dein Freund steht vor dir.« Der König setzte sich auf ein Kissen und winkte dem Höfling. Obwohl niemand zuhörte, dämpfte er seine Stimme. »Hast du das Gemälde bei dir?«
    Der junge Grieche nickte. Er sprang auf, eilte in seine Kammer und kehrte mit einem kleinen goldgefassten Bild zurück.
    Leidenschaftlich riss Otto es an sich. »Zoe, meine Prinzessin aus Byzanz«, flüsterte er, genoss verträumt die Einzelheiten des Porträts. Es zeigte ein weißhäutiges Mädchen mit großen Augen und starken Brauen. Der Glanz des
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