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Das Siegel der Macht

Das Siegel der Macht

Titel: Das Siegel der Macht
Autoren: Monika Dettwiler
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wollte den Weg ins Freie suchen, als er die Gefahr fast körperlich zu spüren glaubte. Er kehrte in die Vorhalle zurück und lehnte sich an die schmierige, mit Moos bewachsene Mauer, um in der Stille zu lauschen.
    Plötzlich erinnerte die Größe des Raums ihn an die Pfalzhalle von Aachen, an die sorglosen Stunden mit Carolus, das gemeinsame Würfelspiel, die Ausritte in den frühen Morgenstunden. In den ersten Wochen hatte Alexius sich am deutschen Hof einsam gefühlt. Der kindlich junge König Otto schien unnahbar. Sigibert war Fremden gegenüber schüchtern, und Hodo beließ es bei gutmütig gemeinten Späßen. Bis Carolus von einer Botenreise an den Hof zurückkehrte. Der vornehme junge Sachse umhüllte ihn mit Freundschaft, seine spontane Offenheit wies Alexius den Weg zum Herzen des Königs. Seit er Carolus kannte, plagte ihn nur noch selten das Heimweh nach seiner Familie in Reims.
    Alexius spürte, wie die Feuchtigkeit den dünnen Stoff seines Umhangs tränkte und kalt in seine Haut eindrang. Mit einem Ruck löste er sich von der Mauer und tastete sich weiter. Plötzlich hörte er ein ächzendes Geräusch. Es kam aus einem kleineren Raum gleich neben der Halle. Alexius trat ein und rief leise nach dem Vermissten. Ein ersticktes Stöhnen war die Antwort. Der Ritter drängte vorwärts, senkte die Fackel fast bis zum steinernen Fußboden. Carolus lag halb verkrümmt im eigenen Blut. Vorsichtig drehte Alexius seinen Körper um. Er nahm den Kopf des Freundes in den Arm und strich mit den Fingern sanft durch das verklebte goldblonde Haar.
    »Carolus«, redete er auf den verwundeten Sachsen ein. »Nicht einmal der Bischof von Verona wird König Otto hindern können, diese Tat zu rächen. Wenn die Mönche dich gesund gepflegt haben …« Alexius dachte plötzlich an die eigene Verletzung, griff nach dem Mund. Das Blut war bereits eingetrocknet. Im Kloster würde man die Wundränder zusammenfügen und ein Pflaster auflegen.
    »Alexius … hol einen Geistlichen.«
    Der junge Grieche untersuchte Carolus und erschrak, wollte wegrennen, nach einem Priester rufen.
    »Nein … warte.« Ein Blutstrom ergoss sich aus Carolus’ Mund. Trotzdem packte er den Arm des Freundes.
    »Du brauchst einen Priester, es geht um dein Seelenheil.« Alexius war bleich vor Schreck. Er wollte sich mit Gewalt losmachen, aber Carolus klammerte sich an seinen Umhang. Schwach klang die Stimme des Verletzten: »… mir aufgelauert. Sie haben … nach … meinem Namen gefragt.«
    »Lass mich! Ich muss einen Priester rufen. Du brauchst jetzt mehr als alles den Leib des Herrn.«
    »Nein.« Das Keuchen des Sachsen ging in kaum hörbares Flüstern über. »Alexius, es war der Antichrist.«
    »Der …? Ich verstehe kein Wort. Was willst du mir sagen?«
    Nie hatte Alexius sich so verloren gefühlt. Er wusste nicht, was er tun sollte.
    »Geh … zum Bischof von Chur …, frag nach dem Brief … Schwör – du musst herausfinden, wer dahinter steckt.« Der Kopf des Ritters sank nach hinten.
    Verzweifelt rannte Alexius auf die Straße und schrie nach geistlichem Beistand. Als der Archipresbyter aus dem Kloster San Zeno herbeieilte, hielt er den Freund wieder im Arm.
    Alexius betete, als es vorbei war. Erschöpft, aber erleichtert. Carolus hatte erst nach dem Sakramentsempfang sein Leben ausgehaucht.

2
    »Nostrae auctoritatis paina concessisse …« Alexius legte das Pergamentblatt zur Seite und streckte sich auf dem Bett aus. Sein Zimmer in der vom Gotenkönig Theoderich erstellten Pfalz von Pavia war mit Bettvorhängen, Teppichen und bunten Kissen ausgestattet. Massive Holztruhen und der in die Steinwand eingelassene Kasten boten genügend Platz für die Garderobe. Seine goldenen Ringe hatte Alexius auf dem Tisch neben dem Bett deponiert, wo auch eine Wasserschüssel mit Tüchern bereitstand.
    Ich bin Königsbote! Der Gedanke an die neue Aufgabe beschäftigte Alexius. Die missi mussten sich vom Hof entfernen, waren auf ihren Reisen Gefahren ausgesetzt. Aber es ging nicht anders. Der Herrscher hätte seinen Freund und Höfling niemals allein in den Norden ziehen lassen. Seinem Königsboten musste er das Reisen erlauben. Sicher würde Alexius nicht lange darauf warten müssen, irgendein Dokument nach Schwaben zu tragen. Da der Weg nordwärts über einen der rätischen Pässe führte, würde er bald beim Bischof von Chur Halt machen können. Alexius fühlte seine Verpflichtung immer drängender. Carolus war ermordet worden, und die Erklärung
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