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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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sich die Wellen und schlugen über ihm zusammen. Etwas, das sich wie eine Schlange wand und im Licht glänzte, stieg aus dem Wasser zum Himmel auf, bis es schließlich in den düsteren Wolken verschwand; gewiß war das der Gürtel. Aber obgleich die Eiländer mit vorgehaltenen Speeren wachten, tauchte sein Kopf nicht wieder über dem Wasser auf.
     

 
Die Klaue
     
    In jener Nacht plünderten die Männer vom See die Burg; ich beteiligte mich weder daran, noch schlief ich in ihren Mauern. Inmitten des Kiefernhains, wo wir zusammen beratschlagt hatten, fand ich eine geschützte Stelle mit einem noch trocknen Nadelteppich unter dem Geäst. Nachdem meine Wunden ausgewaschen und verbunden waren, streckte ich mich dort aus. Das Heft des Schwertes, das mir und vor mir Meister Palaemon gehört hatte, lag neben mir, so daß mir zumute war, als schliefe ich mit etwas Totem; aber es schickte mir keine Träume.
    Als ich auf meinem nach Kiefern duftenden Lager erwachte, hatte die Urth ihr Gesicht schon fast ganz der Sonne zugekehrt. Mir tat alles weh, und die Wunden von den fliegenden Steinsplittern brannten heftig, aber es war der wärmste Tag, den ich seit meinem Aufbruch von Thrax in die Berge erlebt hatte. Ich trat aus dem Hain und sah den See Diuturna, der in der Sonne glänzte, und frisches Gras, das zwischen den Steinen wuchs.
    Ich setzte mich auf einen Felsvorsprung, so daß die Mauer von Baldanders’ Burg hinter mir aufragte und der blaue See unter mir ausgebreitet lag, und löste zum letzten Mal die Angel der gebrochenen Klinge, die mein Terminus Est gewesen war, vom hübschen Heft aus Silber und Onyx. Es ist die Klinge, die ein Schwert ausmacht, und Terminus Est ist nicht mehr; aber ich trug das Heft bis zum Ende meiner Reise bei mir, verbrannte allerdings die Scheide aus Menschenhaut.
    Das Heft wird eines Tages eine andere Klinge halten, selbst wenn sie nicht so vollendet und nicht mein sein wird.
    Was von meiner Klinge übriggeblieben war, küßte ich und warf’s ins Wasser.
    Dann begann ich meine Suche in den Felsen. Ich hatte nur eine ungefähre Vorstellung, in welche Richtung Baldanders die Klaue geschleudert hatte, wußte aber, daß er sie zum See hin geworfen hatte, und obgleich ich das Juwel über die Mauer hatte fliegen sehen, dachte ich mir, daß nicht einmal ein Arm wie der seine vermöchte, ein so kleines Ding weit übers Ufer hinaus zu tragen.
    Ich mußte jedoch bald feststellen, daß die Klaue für immer verloren sein mußte, falls sie im See gelandet wäre, denn das Wasser war überall viele Ellen tief. Freilich war es denkbar, daß sie den See gar nicht erreicht hatte, sondern in einem Felsspalt ruhte, wo ihr Schein unsichtbar blieb.
    Und so suchte ich weiter, wobei ich die Eiländer nicht um Hilfe zu bitten wagte und mich nicht einmal getraute, die Suche zu unterbrechen, um zu essen oder auszuruhen, aus Angst, jemand anders könnte sie fortführen. Die Nacht kam, und mit ihr der Ruf des Seetauchers im schwindenden Licht, und die Männer vom See erboten sich, mich zu einer ihrer Inseln zu bringen, aber ich lehnte ab. Sie befürchteten, daß die vom Ufer auftauchen könnten oder bereits zum Gegenschlag rüsteten, um Baldanders zu rächen (aber ich behielt lieber für mich, daß ich ihn gar nicht für tot hielte, sondern glaubte, er lebte unter den Wassern des Sees weiter), und auf mein Drängen hin ließen sie mich schließlich allein, obgleich sie noch in den scharfkantigen Felsen des vorspringenden Kliffs umherkletterten.
    Alsbald war ich zu erschöpft, um meine Jagd im Finstern fortzusetzen, und ließ mich auf einer sanft abfallenden Felsplatte nieder, um den Morgen abzuwarten. Hin und wieder war mir, als sähe ich einen azurblauen Schein von einer Felsspitze in der Nähe meines Lagers oder aus den Wassern darunter; aber jedesmal, wenn ich die Hand danach ausstreckte oder aufstehen und zum Rand dieser Klippe gehen wollte, um einen Blick darauf zu werfen, schreckte ich aus dem Schlaf, denn ich hatte nur geträumt.
    Hundertmal fragte ich mich, ob nicht ein anderer das Juwel gefunden hatte, während ich unter den Kiefern schlief, wofür ich mich nun verfluchte. Hundertmal führte ich mir vor Augen, daß es besser wäre, wenn das Juwel überhaupt gefunden würde, als für immer verloren zu sein.
    Genau wie in der Sonne verdorbenes Fleisch Fliegen anlockt, so lockt der Hof falsche Weisen, Philosophen und Akosmisten an, die dort weilen, solange sie sich aus ihren Börsen und von ihrem Scharfsinn
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