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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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aufnahmen oder der ein wenig später erscheinende Hetman und seine Dörfler.)
    Was ich im Stockwerk darunter sah, ließ mich den Knaben ganz schnell vergessen. Dieses Zimmer war mit Nebel ausgekleidet (der beim vorherigen Durchgehen bestimmt nicht vorhanden gewesen war) wie das andere mit rotem Tuch; die Schwaden waren voller Leben und wallten und brodelten, wie meiner Vorstellung nach dem Mund des Pancreators der Logos gewunden entströmen würde. Vor meinen Augen erhob sich eine Nebelgestalt, weiß wie ein Grabwurm und einen gezackten Speer schwingend. Ehe ich sie als bloßes Phantom erkannte, war die Klinge meines Schwertes durch ihr Handgelenk gedrungen, als wäre sie durch eine Rauchsäule gefahren. Sogleich begann die Gestalt zu schrumpfen, während der Nebel offenbar in sich zusammenfiel, bis sie mir kaum mehr zur Hüfte reichte.
    Ich ging ein paar Stufen weiter, bis ich im kalten, wallenden weißen Brodem stand. Dann kam über seine Oberfläche eine garstige Kreatur angehüpft, gleichfalls aus Nebel bestehend. Bei Zwergwüchsigen habe ich oft gesehen, daß Kopf und Rumpf normale Größe aufwiesen, während die Gliedmaßen, seien sie auch noch so muskulös, kindlich geblieben sind. Diese Kreatur war das Gegenteil eines Zwerges; Arme und Beine, länger als die meinen, entsprangen einem kurzen, verkrüppelten Leib.
    Dieser Antizwerg schwang eine Streitaxt, die er, den Mund zum stummen Schrei öffnend, dem Nebelmann in den Nacken trieb, ohne sich auch nur im geringsten vor dessen Speer in acht zu nehmen, der ihm dabei selbst in die Brust fuhr.
    Ich vernahm Gelächter, und obwohl ich ihn selten in heiterer Laune erlebt hatte, wußte ich, wessen Lachen es war.
    »Baldanders!« rief ich.
    Sein Kopf ragte aus dem Nebel auf wie die Berggipfel beim Morgengrauen.
     

 
Der Kampf im Burghof
     
    »Hier ist ein echter Feind«, sagte ich. »Mit einer echten Waffe.« Ich stieg hinab in den Nebel, wobei ich die Klinge meines Schwertes vor mich hielt und mich so vorantastete.
    »Du siehst in meiner Wolkenkammer auch echte Feinde«, brummte Baldanders mit recht ruhiger Stimme. »Nur daß sie draußen sind, im Burghof. Der erste war einer deiner Freunde, der zweite einer meiner Widersacher.«
    Während er sprach, verflüchtigte sich der Nebel, und ich sah ihn in der Mitte des Zimmers auf einem gediegenen Stuhl sitzen. Als ich mich ihm zukehrte, stand er auf, packte diesen an der Rückenlehne und schleuderte ihn so spielerisch, als wäre es ein Korbsessel, nach mir. Er verfehlte mich um nicht mehr als eine Spanne.
    »Nun willst du mich umbringen«, sagte er. »Und das alles wegen dieses dummen Zaubersteins. Ich hätte dich damals töten sollen, als du in meinem Bett schliefst.«
    Dasselbe hätte ich ihm auch erwidern können, aber ich wollte mich nicht mit einem solchen Wortgefecht abgeben. Es lag auf der Hand, daß er nun den Hilflosen spielte, um mich zu einem leichtsinnigen Angriff zu verlocken. Obschon er bewaffnet schien, war er doch doppelt so groß wie ich und mindestens viermal so stark, wie ich mir vorstellen konnte. Zugleich wurde ich, als ich mich ihm nahte, gewahr, daß wir hier die Darbietung der Marionetten nachspielten, die ich in jener Nacht, an die er mich erinnert hatte, in einem Traum sah; und in diesem Traum war der hölzerne Riese mit einer Keule bewaffnet gewesen. Er wich Schritt für Schritt vor mir zurück; dennoch schien er stets angriffsbereit.
    Als wir so drei Viertel des Raumes vom Stuhl aus durchmessen hatten, wirbelte er mit einemmal herum und rannte. Das war so verblüffend, wie wenn man plötzlich einen Baum rennen sähe.
    Er war sehr schnell. Trotz seiner Plumpheit legte er mit einem Satz zwei Schritte zurück, so daß er lange vor mir die Wand erreichte, wo sich ein solches schmales Fenster befand, durch das Ossipago hinausgesehen hatte.
    Im ersten Augenblick konnte ich mir nicht vorstellen, was er im Schilde führte. Das Fenster war für ihn viel zu eng zum Hinaussteigen. Er griff mit beiden Händen in die Laibung, und schon hörte ich Stein auf Stein knirschen.
    Gerade noch rechtzeitig durchschaute ich sein Vorhaben und konnte mit ein paar Schritten zurück Abstand gewinnen. Im nächsten Augenblick hielt er einen Steinblock, den er aus der Mauer gerissen hatte. Er wuchtete ihn über den Kopf und warf.
    Während ich zur Seite sprang, riß er einen zweiten und schließlich einen dritten heraus. Beim dritten mußte ich in meiner Not mitsamt Terminus Est zu Boden hechten, um dem vierten zu
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