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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors
Autoren: Gene Wolfe
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meine Anwesenheit sie stählte; sie überließen mir die Führung, und in ihren Augen konnte ich lesen, daß sie mir folgen würden, wohin auch immer ich sie führte. Nun verstand ich wohl zum ersten Mal, welche Befriedigung Meister Gurloes aus seinem Amte zog, hatte ich bisher doch geglaubt, er finde einzig Gefallen am Zelebrieren seiner Fähigkeit, anderen seinen Willen aufzuzwingen. Ich verstand ebenfalls, weshalb so viele Jünglinge bei Hofe, meine Freunde in meinem Leben als Thecla, ihre Verlobte verließen, um eine Offiziersstelle in einem dubiosen Regiment anzutreten.
    Der Regen hatte nachgelassen, obwohl er noch in silbernen Strömen fiel. Tote Männer und ungleich mehr der Kreaturen des Riesen lagen auf der Treppe – ich war gezwungen, mehrere mit dem Fuß über den Rand zu stoßen, um nicht zu straucheln, wenn ich über sie ginge. Unten im Hof wütete noch der Kampf, aber keine der Kreaturen kam herauf, um uns anzugreifen, und die Männer vom See hielten die Treppe gegen diejenigen, die wir im Turm zurückgelassen hatten. Von Baldanders fehlte jede Spur.
    Das Kämpfen, so habe ich festgestellt – obgleich es aufregend ist in dem Sinn, daß es einen über sich selbst erhebt –, läßt sich nur schwer beschreiben. Und woran man sich am besten erinnert, ist’s erst vorüber (denn der Verstand wird im Kampfgetümmel so beansprucht, daß er nicht viel verzeichnen kann), sind nicht die Stöße und Paraden, sondern die Pausen zwischen den Gefechten. Im Hof von Baldanders’ Burg verteilte ich grimmige Schläge an vier der Ungetüme, die er geschaffen hatte, aber ich könnte nicht sagen, wann ich gut und wann schlecht kämpfte.
    Dunkelheit und Regen begünstigen den wilden Kampfstil, den ich wegen der Beschaffenheit von Terminus Est notgedrungen annehmen mußte. Nicht nur formales Fechten, sondern jeder Schwert-oder Speergebrauch, der damit Ähnlichkeit haben soll, erfordert gutes Licht, denn jeder Gegner muß die Waffe des anderen sehen können. Hier war fast gar kein Licht. Obendrein hatten Baldanders’ Kreaturen selbstmörderischen Mut, womit sie sich ins eigene Fleisch schnitten. Sie versuchten, meinen Hieben durch Springen oder Ducken auszuweichen, so daß mindestens der rasch folgende Rückhandschlag sie erwischte. Bei jedem dieser Scharmützel waren auch die Krieger der Inseln beteiligt und konnten in einem Fall den Gegner für mich niederstrecken.
    In den anderen Fällen lenkten sie ihn ab oder hatten ihn verwundet, ehe ich ihn angriff. Keines dieser Gefechte war befriedigend im Sinne einer ordentlich vollstreckten Hinrichtung.
    Nach dem vierten Geplänkel waren keine mehr übrig, obschon ihre Toten und Sterbenden überall lagen. Ich sammelte die Eiländer um mich. Wir waren alle in jener Euphorie, die mit jedem Sieg einhergeht, und sie waren bereit, jeden Riesen anzugreifen, und wäre er noch so groß; aber selbst jene, die sich im Hof aufhielten, als der Steinschlag niederprasselte, schworen, keinen solchen gesehen zu haben. Als ich mir schon dachte, sie seien blind, und sie gewiß zu überlegen begannen, ob ich verrückt wäre, brachte uns der Mond die Rettung.
    Wie seltsam es ist. Jeder blickt, auf Erleuchtung hoffend, zum Himmel auf, ob er nun den Einfluß der Gestirne auf den Lauf der Dinge erkunden will oder ihn, wie Baldanders, jenen zu entreißen sucht, welche die Ungebildeten Cacogens nennen, oder, wie im Falle von Bauern, Fischern und dergleichen, lediglich nach Wetterzeichen Ausschau hält; keiner indes blickt um unmittelbare Hilfe zu ihm auf, obgleich wir sie oft erhalten, wie’s mir in jener Nacht widerfuhr.
    Es war nicht mehr als eine Lücke in den Wolken. Der Regen, der schon unstet wurde, hatte nicht ganz aufgehört; aber einen Moment lang schien das Licht des abnehmenden Mondes (hoch oben und, obgleich nur mehr halb voll, sehr hell) in den Burghof des Riesen wie eine der größten Lampen im Odeum des Traumhauses vom Haus Absolut auf die Bühne. In seinem Licht glänzte das glatte, nasse Steinpflaster wie kleine, stille Lachen dunklen Wassers; und darin spiegelte sich ein so ungeheures Bild – daß ich mich noch heute frage, wie ich zu mehr imstande war, als nur darauf zu starren, bis ich verginge, was nicht lange gedauert hätte.
    Denn Baldanders fiel auf uns; aber er fiel langsam.
     

 
Terminus Est
     
    Es sind im braunen Buch Bilder von Engeln enthalten, die in der gleichen Pose zur Urth niederfahren, das Haupt zurückgeworfen, den Leib geneigt, so daß Gesicht und Brust auf
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