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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri
Autoren: Jürgen Benvenuti
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EINS
    Vor zwei Monaten und drei Tagen, als er das Labor im Zuge des Vorstellungsgespräches zum ersten Mal betreten hatte, war er beeindruckt gewesen. Drei riesige Kühlkammern, die Ausgüsse chromblitzend, die Gefahrenhinweise und Sicherheitsratschläge nicht mit Tixo an die Schränke geklebt, sondern gerahmt und hinter Glas an der Wand aufgehängt. Ja, damals war Karl Michael Baumgartner von all dem noch angetan gewesen. Berger hatte ihn herumgeführt, hatte ihn auf die Zentrifugen aufmerksam gemacht, den Vakuum-Trockner, den Exsiccator, die Chemikalienschränke mit der zartgrünen Lackierung. Kein Vergleich mit dem Unilabor, hatte Karl sich gedacht. Keine Terrakottafliesen mit Blumenerde in den Ritzen, keine Pipetten, die irgendwo herumlagen und nicht gesäubert worden waren, keine Mikrowellenherde, in denen Bakterien abgetötet und eine Minute später Getränke aufgewärmt wurden. Vor zwei Monaten und drei Tagen hatte Karl Michael Baumgartner sich noch glücklich geschätzt, diese Stelle antreten zu dürfen.
    Jetzt war er nicht mehr glücklich. Jetzt stand er vor dem verdammten Abzug und hämmerte mit dem Handballen zum wiederholten Male auf den großen roten Knopf. Nichts. Der Abzug funktionierte nicht. Karl fluchte, knöpfte seinen makellos weißen Laborkittel auf und trat gegen den Chemikalienschrank. Klar, das Unilabor war dreckig gewesen und nicht immer hatte dort alles funktioniert, aber zumindest die grundlegendsten Sicherheitsvorkehrungen waren in Ordnung gewesen.
    Er hockte sich auf einen kleinen, leise brummenden Kühlschrank, betrachtete die Rosenblätter in seiner Hand und legte sie schließlich auf die Arbeitsfläche aus Edelstahl neben sich. Er blickte sich um. Außer ihm befand sich niemand im Labor. Die meisten Leute waren auf Urlaub, manche hatten Zeitausgleich. Die neue Lieferung Rosenblätter würde erst morgen Vormittag eintreffen, und bis dahin gab es nicht allzu viel zu tun.
    Er stand auf und warf einen Blick auf das Poster, das die Forschungsstation La Perla zeigte, ein schmales, geducktes Holzgebäude, das an drei Seiten von Regenwald umgeben war. Auf Hochglanzpapier gebannt und an die Wand geklebt, wirkte diese bunte, üppige Pracht exotisch und einladend. In Wirklichkeit sah das Ganze ein wenig anders aus. Karl erinnerte sich noch gut an die sintflutartigen Regenfälle, die jeden Tag niedergegangen waren, die Milben, die sich in die Haut bohrten und einen beinahe unerträglichen Juckreiz verursachten, den schlammigen Boden, der jedes Vorankommen zur Qual machte. Und er erinnerte sich auch an die öden Stunden im schlecht ausgestatteten Labor, in dem er öde Routineuntersuchungen durchgeführt hatte. Dennoch, verglichen mit seinem jetzigen Job, erschienen weitere sechs Monate in der Forschungsstation beinahe verführerisch.
    Er seufzte, ging zurück zum Abzug und hämmerte ein weiteres Mal auf den Knopf.
Nada
. Er fragte sich, ob er die Dampfdestillation dennoch durchführen oder sich bei Berger beschweren sollte, als Bernhard Schrempf die Tür des Labors mit viel Schwung öffnete, sich Karl mit kleinen, trippelnden Schritten näherte und ihm einige Zentrifugenröhrchen in die Hand drückte.
    Schrempf war klein, knapp einssiebzig in seinen auf Hochglanz polierten schwarzen Schuhen, die er immer trug. Obwohl noch keine Vierzig, hatte er schon eine Glatze. Nur ein paar letzte, hartnäckige Haare klammerten sich über den Ohren und am Hinterkopf verzweifelt fest. Seine Augen waren blassblau und wässrig, die Unterarme, die ein wenig aus den Ärmeln seines weißen Laborkittels ragten, dünn, blass und behaart. Karl ekelte sich ein bisschen vor Bernhard Schrempf und er mochte ihn nicht. Wurde in der Kantine über ihn gesprochen, was häufig vorkam, war von ihm nur als
Bernhardiener
die Rede, da er als äußerst loyal Berger gegenüber galt. Karl hatte auch gehört, dass er ein kleines Genie im Bereich Gentechnik sei. Auf seine Nachfrage, was ein Gentechnikgenie in einem Unternehmen mache, das sich auf die Herstellung von Naturkosmetika spezialisiert habe, hatte er keine eindeutige Antwortbekommen. Berger werde schon wissen, was er tue, hieß es. Karl glaubte das sofort.
    Er nahm die Röhrchen, warf einen kurzen Blick darauf und deutete auf den Abzug. „Er funktioniert nicht.“
    Schrempf lächelte sein unschuldiges Lächeln und sagte: „Wer?“
    â€žWas,
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