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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri
Autoren: Jürgen Benvenuti
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er sich nach links, grüßte ein paar Arbeiter, die Behälter für Blätter zur Seite schoben, und kam schließlich zur Lkw-Rampe, die schon zur Hälfte in der Sonne lag. Er trat hinaus, blieb stehen und spähte durch die dürren, braunen Bäume, die dem Parkplatz einen trügerischen Halbschatten spendeten. Mit ein bisschen Fantasie konnte er das Haupttor des Zentralfriedhofs ausmachen, flankiert von den beiden wuchtigen, gedrungenen Säulen, die weiß im Sonnenlicht glänzten und eher zu einem Palast denn zu einer letzten Ruhestätte alles Irdischen passten.
    Auf der Herfahrt schon hatte Karl den leichten, aber penetranten Rosenduft wahrgenommen. Wahrscheinlich hatte Berger die Filter nicht gewechselt. Es würde wieder Anrainerbeschwerden geben, die Berger ignorieren würde. Einzig die Friedhofsbesucher würden sich freuen, von der Vorstellung geblendet, die kümmerlichen Blumen, die sie am Tor gekauft hatten, dufteten diesmal ganz besonders intensiv.
    Karl war heute die lange Route gefahren, am Donaukanal entlang, die ihn durch Spaliere üppiger Büsche und Bäume und an blühenden Wiesen vorbeiführte. Die letzten paar Wochen hatte er diesen Weg nur selten genommen. Die Fahrt dauerte einfach zu lange. Meist wählte er die kürzere Strecke, die Friedhofsroute, wie er sie nannte. Zuerst vom Neunten Bezirk zum Schwarzenbergplatz, dann den Rennweg entlang und schließlich die Simmeringer Hauptstraße stadtauswärts. Die Wohnhäuser und Geschäfte wurden weniger, an ihre Stelle traten in Containern untergebrachte Imbissbuden mit Namen wie
Leprechaun
, neben denen sich vor sich hinrostende Autowracks und übereinandergestapelte Kisten mit Dopplerflaschen den spärlichen Platz teilten. Anschließend reihten sich die Gebrauchtwagenmärkte aneinander, zuerst noch die wohlklingenderen Namen, Ford, Nissan, Porsche, dann stand auf den Schildern meist nur noch lapidar
Autoland
, und schließlich, je näher es dem Zentralfriedhof zuging, begann die morbide Meile mit Geschäften, die sich
Grabsteinland
nannten, mit braunen, geduckten, langgestreckten Gebäuden, die Grabschmuck aller Art, Buketts und ähnliches verkauften. Meist war Karl froh, sich, hatte er es endlich geschafft, bis zum Haupttor des Zentralfriedhofs zu gelangen, sofort in die schräg gegenüberliegende Firma flüchten zu können.
    Er sprang die niedrige Betonmauer hinunter, hielt sich weiter links, ging am Parkplatz vorbei, ließ den vertrockneten Garten hinter sich, streifte sein eulenscheißegrünes Puch Clubman mit einem Blick, umrundete die Produktionshalle und schraubte die Wasserflasche auf. Er steuerte auf die kleine weiße Orchidee zu, die er in einer sonnenhellen Ecke gepflanzt und die zu seinem Erstaunen all die Monate überlebt hatte. Nun, nicht nur überlebt, sie war gewachsen und gedieh prächtig.
    Er kniete sich nieder, goss ein wenig Wasser über die Blume und tränkte mit dem Rest den Boden um sie herum. Dann untersuchte er sorgfältig jedes einzelne Blatt, nahm jede Blüte in Augenschein und vergewisserte sich, dass die Erde schön feucht war. Er war zufrieden.
    â€žMaria, mein Schätzchen“, sagte er halblaut, „du bist die Schönste.“
    Dann hörte er den Knall.

ZWEI
    Karl schob den Arbeiter, der in der Labortür stand und kopfschüttelnd das Ausmaß der Zerstörung musterte, beiseite und sah sich um. Von der Zentrifuge waren nur noch der Boden und die linke Seitenwand heil geblieben, der Rest hatte sich in scharfkantige Teile unterschiedlicher Größe zerlegt, die fast alle Gegenstände im Labor auf die eine oder andere Weise in Mitleidenschaft gezogen hatten. Der Gaschromatograph gab seine elektronischen Innereien preis, die stählerne Tür des Geschirrspülers wurde von einer faustgroßen Delle verziert und das Glas, welches den kopierten Zettel schützte, der an der Wand hing und darauf hinwies, beim Programmieren der Beckman-Zentrifuge äußerst penibel vorzugehen, wies mehrere Sprünge auf.
    Karl machte ein paar vorsichtige Schritte, zertrat Scherben, verschmierte Öl, schob mit seinem Turnschuh Trümmer beiseite. Die Luft war erfüllt von penetrantem Rosenduft. Ein Duft, so schwer, dass er an der Grenze zum Gestank lag. Ein Duft, der sich auf die Schleimhäute legte, die Augen tränen ließ und das Atmen erschwerte. Karl spürte, wie seine Haut zu jucken
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