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Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Titel: Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Autoren: Daniel-Erasmus Khan
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und Diplomat Adolphe de Circourt fand schließlich geradezu prophetische Worte: «Es ist nur allzu wahrscheinlich, daß eine Reihe von gigantischen Kriegen ausbrechen und in allen Teilen der beiden Kontinente [gemeint sind Europa und Amerika] die Lösung der Probleme übernehmen werden, bei denen die Gewalt nach dem Geheißder menschlichen Natur die getreue Begleiterin des Rechts ist. So kommen sie gerade zum rechten Augenblick. Es gibt kein Land, das Ihnen nicht Zustimmung und Beachtung schuldet. Ihr Name wird für immer zu den wenigen gehören, die sich um die Menschheit Verdienste erworben haben.»
    Derartige Äußerungen waren zwar in der Tat außerordentlich schmeichelnd und ermutigend – und wurden von Dunant auch durchaus so empfunden. Seinem konkreten Ziel, eine «internationale, rechtsverbindliche und allgemein hochgehaltene Übereinkunft zu treffen, die, wenn sie erst festgelegt und unterzeichnet ist, als Grundlage dienen könnte zur Gründung von Hilfsgesellschaften für Verwundete in den verschiedenen Ländern Europas», brachten sie ihn aber letztlich keinen Schritt näher. Zudem räumten viele Zeitgenossen den visionären Ideen Dunants auch nur geringe Realisierungschancen ein. Zu groß seien die nationalen Egoismen und zu mächtig der intellektuelle Mainstream, der die Rolle des Staates nach innen und außen zunehmend zu verabsolutieren suchte. Selbst Florence Nightingale, die die humanitären Ziele Dunants durchaus teilte, hielt die Idee der Einrichtung eines freiwilligen, neutralen und unabhängigen Hilfsdienstes zur Ergänzung der armeeeigenen Sanitätstruppe nicht nur für «schlichtweg absurd», sondern nannte sie auch «practically impracticable» («praktisch undurchführbar»). Skeptisch äußerte sich auch ein anderer Veteran des Krimkrieges, der «médecin principal» der französischen Armee Jean-Charles Chenu. Kurz: Die Reaktion derjenigen, die praktische Erfahrungen in der Sanitätshilfe hatten, war alles andere als ermutigend.
    Die Entstehung des Genfer Komitees. So sollten denn nach ihrer intellektuellen Geburt auch die ersten praktischen Schritte zur Verwirklichung der Rotkreuzidee Genfer Akteuren vorbehalten bleiben. Natürlich hatte Dunant dafür gesorgt, dass «Eine Erinnerung an Solferino» auch in seiner Heimatstadt größtmögliche Aufmerksamkeit erfuhr. Einer der vielen Adressaten seines Buches war Gustave Moynier. Der 1826 geborene Jurist war Dunant nicht nur aus gemeinsamen Schultagen am altehrwürdigen«Collège Calvin» wohlbekannt, sondern auch aus der gemeinsamen Mitgliedschaft in der Genfer Geographischen Gesellschaft. Vor allem aber war Moynier damals Präsident der «Société genevoise d’utilité publique», der Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft. Das Kernanliegen dieser 1828 von Genfer Notabeln in aufklärerisch-calvinistischem Geist gegründeten Gesellschaft war es, zur Verbesserung der Institutionen des Armen- und Fürsorgewesens beizutragen. Der von Haus aus begüterte Moynier hatte hier und in anderen philanthropischen Aktivitäten seine Lebensaufgabe gefunden. Durch die Teilnahme an den internationalen Wohlfahrtskongressen in Brüssel (1856), Frankfurt (1857) und London (1862) hatte er sowohl der ein wenig unter Perspektivlosigkeit leidenden Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft als auch sich selbst neue, internationale Horizonte eröffnet. Kein Wunder also, dass der von Tatendrang erfüllte Philanthrop unmittelbar nach der Lektüre der Dunant’schen Schrift Kontakt mit dem Autor aufnahm: Hier bot sich ihm (endlich) die Gelegenheit, an der Verwirklichung einer humanitären Idee von universeller Bedeutung und hoher Praxisrelevanz mitzuwirken.
    In einer Notiz über die erste Begegnung der beiden Hauptprotagonisten der Gründungsphase der Rotkreuzbewegung im November 1862 hat Moynier wohl ein wenig überrascht festgehalten, dass Dunant sich offensichtlich keinerlei Gedanken über eine praxistaugliche Strategie zur Verwirklichung seiner beiden großen Visionen – der Gründung eines Netzes nationaler Hilfsgesellschaften und des Abschlusses eines internationalen Abkommens, welches die freiwilligen Helfer auf dem Schlachtfeld schützen sollte – gemacht hatte. Moynier hat die geistige Urheberschaft Dunants an der Rotkreuzidee selbst niemals in Frage gestellt. Dennoch, es sollte der Tatkraft und gesellschaftlichen Vernetzung, dem praktischen Organisationstalent, aber auch den scharfen intellektuellen Fähigkeiten dieses lange Zeit im übermächtigen Schatten des
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