Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Titel: Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Autoren: Daniel-Erasmus Khan
Vom Netzwerk:
entsprechende Organisationsstrukturen daher in jedem Staate gleichermaßen vonnöten seien. Mit den Idealen der Menschlichkeit und Zivilisation waren zudem auch seine geistigen Triebfedern völkerund- undstaatenübergreifender und damit im wahrsten Sinne internationaler Natur. Ein unverzichtbarer Pfeiler für das Gesamtprojekt, wie Dunant auf der konstituierenden Sitzung des Komitees noch einmal ausdrücklich betonte, war schließlich der Abschluss einer die freiwilligen Hilfeleistenden schützenden «internationalen, rechtsverbindlichen und allgemein hochgehaltenen Übereinkunft» bereits zu Friedenszeiten. «Wenn die Feindseligkeiten einmal ausgebrochen sind», so stellte Dunant mit nüchternem Realitätssinn fest, «[sind die Kriegführenden] nicht mehr geneigt […], diese Fragen anders als unter dem Gesichtspunkt des eigenen Landes und der eigenen Soldaten zu betrachten.» Damit aber waren die drei Kernelemente der Rotkreuzbewegung bereits relativ klar definiert: eine gemeinsame ideelle Grundlage, kohärente Organisationsstrukturen sowie ein völkerrechtliches Band, das die Staaten auf eine möglichst humanitäre Kriegführung verpflichten sollte.
    Schon bei den ersten Zusammenkünften des Komitees stellten sich Fragen, die bis heute kaum etwas von ihrer Aktualität eingebüßt haben: Sollte das Projekt von Anfang an einen universalistischen Anspruch in der Weise erheben, dass es auch Bürgerkriege einschließt (so Dunant), oder sollte es vielmehr zunächst nur auf die europäischen Zwischenstaatenkriege beschränkt bleiben? War die Neutralisierung des freiwilligen Sanitätspersonals wirklich eine realistische Option? Wie war der Spagat zwischen Unabhängigkeit und damit Staatsferne einerseits und Einordnung in militärische und politische Befehls- und Organisationsstrukturen der (kriegführenden) Staaten anderseits zu bewältigen? Wie sollte schließlich ein allgemein für erforderlich gehaltenes gemeinsames Erkennungs- und Unterscheidungsmerkmal der Angehörigen der freiwilligen Sanitätskorps aussehen?
    Schon auf seinen beiden ersten Sitzungen im Februar/März 1863 offenbarte das Komitee zwei bis auf den heutigen Tag für sein Wirken typische und in gewisser Weise komplementäre Merkmale: einerseits ein vorsichtig-zurückhaltendes – Kritiker würden vielleicht sagen: ein wenig ängstliches – Austesten dessen, was man den Staaten unter den jeweils gegebenen politischenund militärischen Umständen an humanitären Zugeständnissen zumuten konnte und sollte. Andererseits die Vermeidung definitiver Festlegungen und das Offenhalten weitergehender Zukunftsoptionen: «Später, nach einigen Jahren der Erfahrung, wenn das philanthropische Werk universell anerkannt ist, dann könne es selbstverständlich [neben den europäischen Zwischenstaatenkriegen] auch auf jede andere Art von Konflikt angewendet werden», so stellte das Komitee am 17. März 1863 fest. In einer Zeit, in der die Staaten unter dem rechtlich noch sehr wasserdichten Schirm der Souveränität eifersüchtig über ihre inneren Angelegenheiten wachten, konnte die uneingeschränkte Einbeziehung auch interner Konflikte (Bürgerkriege) in das Rotkreuzwerk nur eine ferne Zukunftsvision sein. Hingegen sehr rasch Realität werden sollte die zunächst ebenfalls als völlig unrealistisch angesehene Idee Dunants, die geplanten freiwilligen Sanitätsdienste nicht in die militärischen Befehlsstrukturen zu integrieren, sondern vielmehr zu neutralisieren. Prinzipientreue im Grundsätzlichen, Flexibilität und Pragmatismus im Alltagsgeschäft, so mag man diesen Ansatz vielleicht schlagwortartig charakterisieren.
    Irreführend war und ist die Bezeichnung «international» hingegen, was Zusammensetzung und Rechtscharakter des Komitees selbst angeht. Tatsächlich ist der organisatorische Kern der gesamten Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung bis heute formal nichts anderes als ein privatrechtlicher Verein nach Schweizer Recht, dessen Mitglieder das Schweizer Bürgerrecht besitzen müssen. Jean Pictet hat für diese einmalige Konstruktion die treffende und kaum adäquat ins Deutsche zu übersetzende Formel von der «institution internationale uninationale» geprägt, also einer «international (mono-)nationalen Institution». Bis heute erhalten geblieben sind auch eine Mischung aus juristischer, wirtschaftlicher und medizinischer Expertise sowie eine ungewöhnlich starke soziale Homogenität, Letztere in den vergangenen Jahren allerdings mit abnehmender Tendenz. Hierauf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher