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Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Titel: Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Autoren: Daniel-Erasmus Khan
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Individuum, gerade in der für ihn oftmals in so ganz existentieller Weise hoffnungs- und ausweglosen, von ihm selbst nicht zu verantwortenden Kriegssituation wirklich allein lassen? Und gilt Ähnliches nicht auch – auf einer sehr alltäglichen und daher vielleicht nicht ganz so spektakulären Ebene – in existentiellen Bedrohungslagen durch Krankheit, Hilfsbedürftigkeit aufgrund des Alters oder einer Behinderung sowie schließlich bei durch Mensch oder Natur verursachten Katastrophen? Es ist das entschiedene und kompromisslose «Nein» auf diese einfache Frage, das dem Roten Kreuz in seiner nunmehr 150-jährigen Geschichte weltweit ein so großes Maß an Respekt, Anerkennung und Vertrauen verschafft hat.
    So bedauerlich dies nicht nur vom Standpunkt eines radikalen Pazifismus auch sein mag: Das Erfolgsgeheimnis dieser Bewegung bestand und besteht wohl gerade darin, dass sie den Krieg als Mittel der Politik eben niemals prinzipiell in Frage gestellt hat. Bis heute enthält sich das Rote Kreuz regelmäßig jeder moralischen, politischen oder rechtlichen Bewertung eines konkreten Kriegsgeschehens. Es ist sich der Grenzen seines im Wesentlichen auf völkerrechtlichen Verträgen beruhenden Mandates stets bewusst. Dieses pragmatische Zugeständnis an die politische und rechtliche Realität eines nicht immer konfliktfreien Nebeneinanders souveräner Staaten und zunehmend auch anderer machtpolitisch gleichwertiger Akteure ist immer wieder schmerzhaft – und in Situationen wie dem Holocaust gelegentlich fast unerträglich. Es hat dem Roten Kreuz jedoch bis heute diejenigen Freiräume eröffnet, derer es für den Erfolg seiner Arbeit bedarf. Diese Freiräume konsequent zu nutzen und – wo immer dies möglich erscheint – auch auszubauen, darin besteht bis heute seine Kernmission.
    Im Testament von Alfred Nobel lesen wir, dass nicht nur derjenige des Friedensnobelpreises würdig sein solle, «der am meisten oder am besten für […] die Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere sowie für die Bildung und Verbreitung von Friedenskongressen gewirkt hat». Gleiches solle vielmehr auch für denjenigen gelten, der Entsprechendes «für die Verbrüderung der Völker» getan hat. Dieser Gedanke der «Brüderlichkeit» (und «Schwesterlichkeit») bildet nun aber tatsächlich den Ausgangspunkt der Geschichte des Roten Kreuzes: Als die einfachen lombardischen Bäuerinnen Henry Dunant am Abend des 24. Juni 1859 auf dem Schlachtfeld von Solferino zur Linderung des Leidens von Freund und Feind zu Hilfe eilten, taten sie dies der Überlieferung nach mit einem schlichten «Tutti fratelli» («Alles Brüder»). Dreimal sind die Internationalen Rotkreuzorganisationen seither selbst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden, zweimal davon (1917 und 1944) mitten in einem der beiden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts, ein drittes Mal (1963) für Hilfeleistung in von Bürgerkrieg und Naturkatastrophen heimgesuchten Weltregionen. Wie könnte man besser dokumentieren, dass offensichtlich auch im Schatten des Krieges erfolgreiche Friedensarbeit möglich ist?

II. Die Ausgangslage: «Denn unter den Waffen schweigen die Gesetze»
    Die Versuche, der Brutalität des Krieges Schranken zu setzen, sind keine Erfindung des 19. Jahrhunderts und auch keine der sogenannten westlichen Zivilisation. Dass der Kampf zu allen Zeiten und an allen Orten regelmäßig nicht bis zum Äußersten, das heißt bis zur physischen Ausrottung des Gegners, geführt wurde, hatte im Wesentlichen drei Gründe: Zunächst einmal waren und sind es zutiefst «menschliche» Triebfedern und Ängste, wie der Wille zum Überleben oder auch die Angst vor Rache, welche entscheidend zu einer Mäßigung der Kriegführungbeigetragen haben: Wer Gefangene, Frauen und Kinder schonte, konnte zumindest darauf hoffen, dass der Gegner ebenso verfuhr. Die antiken Quellen, angefangen von der «Ilias» des Homer (Trojanischer Krieg), bieten zwar insgesamt ein Panoptikum des Grauens. Es finden sich aber doch immer wieder auch Beispiele «humanitärer» Praxis, etwa die Schonung von Wohn- und Kultstätten oder der Austausch von Gefangenen nach dem Ende der Feindseligkeiten. Hinzu kamen aber, zweitens, stets auch ganz pragmatische Gründe: Ein Gefangener kann ausgetauscht werden, als Geisel Sicherheit garantieren, als Sklave verkauft oder behalten werden – und ist damit möglicherweise viel «nützlicher» als ein im Kampf niedergemetzelter Gegner oder ein hingerichteter
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