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Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Titel: Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Autoren: Daniel-Erasmus Khan
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und andererseits dem Humanitätsgedanken der Ausbruch aus dem Elfenbeinturm elitärer Phantasien hin zu einer Massenbewegung gelingen würde:
    «Es handelt sich deshalb darum, einen Aufruf, eine Bitte an die Männer aller Länder und jeden Ranges ergehen zu lassen, von den Mächtigen dieser Welt bis zu den Ärmsten Arbeitern; denn Alle können auf die eine oder andere Weise und Jeder in seiner Art und nach seinen Kräften bei dieser guten That mitwirken. Ein Aufruf dieser Art würde den Frauen ebenso gut als den Männern gelten […], kurz Allen, welche ihre letzten Kräfte der Linderung der Leiden ihres Nächsten widmen wollen … General … Feldmarschall … Philanthropen … Schriftsteller …»
    Die «gute That» aber sollte in zweierlei bestehen: Erstens sollten in allen Ländern private (nicht armeeeigene) Hilfsgesellschaftengegründet werden, die sich in professioneller Weise der Pflege von Kriegsopfern widmen sollten. Und zweitens sollte ein «internationaler, vertragsmäßiger, geheiligter Grundsatz» (d.h. ein völkerrechtliches Abkommen) zur Neutralisierung der Sanitätsdienste in Kriegszeiten getroffen werden. In seinem bereits erwähnten Brief vom 19. Oktober 1862 ermutigte General Dufour Henry Dunant bei diesem ehrgeizigen Projekt: «Es ist verdienstvoll, die Aufmerksamkeit auf die Frage der Menschlichkeit zu lenken. Wenn man die Frage aufmerksam und ernsthaft untersucht, könnte man mit Hilfe von Menschenfreunden aller Länder gewiss zu einer Lösung gelangen.»
    Henry Dunant selbst sollte es nicht vergönnt sein über die unmittelbare Gründungsphase hinaus eine entscheidende Rolle bei der praktischen Verwirklichung dieser beiden großen Projekte zu spielen. Der unwiderstehlich-suggestiven Argumentationskraft, die er in «Eine Erinnerung an Solferino» eindrücklich unter Beweis stellte, gebührt jedoch das unbestrittene Verdienst, als intellektuelle Initialzündung der gesamten Rotkreuzbewegung gewirkt zu haben:
    «Welcher Fürst, welcher Monarch könnte diesen Gesellschaften seine Unterstützung versagen, und wer von ihnen wäre nicht glücklich, den Soldaten seiner Armee die volle Sicherheit zu verschaffen, dass sie, sobald sie verwundet sind, alsogleich und in der sorgfältigsten Weise gepflegt werden? Welcher Staat würde denen nicht seinen Schutz gewähren, welche auf diese Weise das Leben brauchbarer Bürger zu erhalten suchen? Ein Krieger, der seinem Vaterland dient oder es verteidigt, hat er nicht Anspruch auf die Sorge seines Vaterlandes?»
    Zu Recht ist der Geburtstag Henry Dunants, der 8. Mai, denn auch zum Weltrotkreuztag bestimmt worden. Dass genau an diesem Tag auch der Sieg über das nationalsozialistische Unrechtsregime, welches sich schwerster Verstöße gegen die Regeln einer humanitären Kriegführung schuldig gemacht hatte, gefeiert werden kann, ist nur ein historischer Zufall – sicher aber ein nicht ganz unglücklicher.

IV. Genf: Die Gründungsphase (1863/64)
    Publizistischer Erfolg. In ganz Europa war das Echo auf die Schrift Henry Dunants überwältigend: Binnen weniger Monate waren zwei weitere Auflagen erforderlich. Schon 1863 wurde das Buch auch ins Deutsche, Holländische und Italienische übersetzt und Charles Dickens machte die Schrift noch im Frühjahr 1863 durch lange und wohlwollend kommentierte Textauszüge in seiner populären Wochenschrift «All Year Round» auch in England einem breiten Publikum bekannt. In seltener Einmütigkeit und mit teilweise überschwänglichen Worten zollte das politische, gesellschaftliche und intellektuelle Europa über alle nationalen, ideologischen und weltanschaulichen Grenzen hinweg dem flammenden Appell Dunants für mehr Menschlichkeit im Kriege Beifall: «Sie haben das größte Werk des Jahrhunderts geschaffen. Europa wird es vielleicht nur allzusehr brauchen können», so schrieb der französische Philosoph Ernest Renan. Und das inoffizielle Zentralorgan der intellektuellen Elite Europas, das Pariser «Journal des débats politiques et littéraires», kommentierte in seinem Heft vom 15. Februar 1863 nicht weniger euphorisch: «Dieses im besten Sinne humanitäre Werk ist eine Aufforderung an jedermann, welcher Nation, welcher Religion oder welcher Weltanschauung er auch angehören möge […] Russen, Engländer, Österreicher und Franzosen werden sich auf einem gemeinsamen Gebiet begegnen, auf dem Gebiet der Barmherzigkeit und der wahren Zivilisation.» Der in Europa und Nordamerika intellektuell bestens vernetzte Historiker
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