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Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung

Titel: Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitaeren Weltbewegung
Autoren: Daniel-Erasmus Khan
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war.
    Die Lektüre dieser Schrift sollte dem Leben von Dufour noch einmal eine unerwartete Wende geben. Sichtlich angetan schreibt er dem Verfasser am 19. Oktober 1862 die folgenden Zeilen: «Es ist wohl nötig, dass man an so erschütternden Beispielen, wie Sie sie berichten, erkennt, dass der Schlachtenruhm mit Leid und Tränen bezahlt wird. Man ist nur zu leicht geneigt, allein die glänzenden Seiten des Krieges zu sehen und vor seinen traurigen Folgen die Augen zu schließen.» Was hatte dieser Dunant erlebt, das einen höchstdekorierten General so zu beeindrucken und dessen damals weitverbreitete Vorstellung von Glanz und Gloria des Krieges so zu erschüttern vermochte?
    Die Fakten waren jedem gebildeten Zeitgenossen bekannt: «Jedermann hat von der Schlacht von Solferino gehört oder irgendeinen Bericht über sie gelesen», so schreibt Dunant selbst in seiner Schrift. Mehr als drei Jahre zuvor, am 24. Juni 1859, hatte in der Gegend des kleinen lombardischen Ortes Solferino unmittelbar südlich des Gardasees die ungeheure Zahl von etwa230.000 Soldaten eine Entscheidungsschlacht im sog. Sardinischen Krieg ausgefochten. Die Niederlage Österreichs sollte das endgültige Ende der Herrschaft der Donaumonarchie in Norditalien einleiten und, unter tatkräftiger Mithilfe Frankreichs, den Weg zur Einigung Italiens unter der Führung des Königreichs Piemont-Sardinien ebnen. Auf dem Schlachtfeld selbst nahm eine damals noch weitgehend als selbstverständlich hingenommene Tragödie ihren Lauf:
    «Die ersten Sonnenstrahlen der Sonne des 25. beleuchteten eines der furchtbarsten Schauspiele, das sich dem Auge darzubieten vermag. Ueberall war das Schlachtfeld mit Menschen- und Pferdeleichen bedeckt; auf den Straßen, in den Gräben, Bächen, Gebüschen, auf den Wiesen, überall lagen Todte umher, und die Umgebung von Solferino war im wahren Sinne des Wortes damit übersäet, […] und überall sah man größere und kleinere Blutlachen.»
    Auch viele Tausend Verwundete und Sterbende, Franzosen, Österreicher und Piemonteser, waren praktisch unversorgt auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben. Für sie musste die bei Beginn des Feldzuges von General Jean Louis Trochu zum Schutz der Zivilbevölkerung erlassene Proklamation wie Hohn klingen: «… wir wollen den Krieg mit Menschlichkeit, im Geiste der Gesittung führen.» Bitter zitiert Dunant denn auch einige der Opfer mit den Worten: «Ach! Mein Herr, wie leide ich! […] Man gibt uns auf; man läßt uns elend sterben, und doch haben wir uns doch wacker geschlagen!»
    Die elende Situation der Kriegsverwundeten und -versehrten war systembedingt: Bis zur Französischen Revolution hatte das militärische Machtinstrument der Staaten Mitteleuropas aus relativ kleinen, dafür aber hochprofessionellen und entsprechend teuren Söldnerarmeen bestanden. Aus ganz pragmatischen Gründen galt dem Wohl dieses wertvollen «Menschenmaterials» die besondere Fürsorge der politischen und militärischen Führung: Der medizinischen Versorgung auf dem Schlachtfeld wurde so im Rahmen der Möglichkeiten ein hoher Stellenwert eingeräumt. Großzügige, ja pompöse Alters- und Invalidenwohnsitze,wie das «Hôtel des Invalides» in Paris, dienten König Ludwig XIV. nicht zuletzt als Werbemittel für seine Freiwilligenarmee. Für die sich im Zuge der Revolution in ganz Europa etablierenden Massenheere bedurfte es eines solchen Aufwandes nicht (mehr): Der wehrpflichtige Bauernbursche, der kaum Sold erhalten und in den man auch nur geringe Ausbildungskosten investiert hatte, war leicht zu ersetzen. Durch die lange Friedensperiode hatte sich die Situation um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch dadurch zugespitzt, dass die militärischen Sanitätsdienste auf einen Kriegseinsatz nicht mehr adäquat vorbereitet waren. Der Chefarzt des 4. Preußischen Armeekorps, Dr. Löffler, bekannte freimütig, dass der sparsame Umgang mit den öffentlichen Finanzen eine permanente Kriegsbereitschaft der Sanitätsdienste schlichtweg nicht zulasse.
    Es sprach alles dafür, dass diese in gewisser Weise als unvermeidlich angesehene, aus Gründen der Aufrechterhaltung der Kriegsmoral an der Heimatfront tunlichst auch nicht übermäßig zu thematisierende Tragödie der Öffentlichkeit ein weiteres Mal verborgen bleiben sollte. In den offiziellen Berichten über die Schlacht von Solferino findet sich hierzu ebenso wenig wie in den Jubeldepeschen nach Paris und Turin sowie denjenigen naturgemäß eher verhaltenen Inhalts nach
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