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Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Autoren: Tibor Rode
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doch kein Laut kam ihr über die Lippen. Tränen rollten ihr über die Wangen, und sie hielt sich die Hand vor den geöffneten Mund. Große Erleichterung machte sich in mir breit. Ich hatte mich nicht in ihr getäuscht. Für einen Moment verharrte sie, dann begann sie laut zu schluchzen. Ich wartete ein paar Augenblicke, bis sie sich etwas beruhigt hatte, und wollte ihr Trost zusprechen, doch ich fand keine passenden Worte. Julia lag keine zehn Meter von hier entfernt im tiefen Koma, und daher war ich nicht in der Lage, etwas Aufmunterndes zu sagen. Ingrid sank immer weiter in sich zusammen und starrte lange Zeit auf eine Stelle vor sich auf dem Boden. Schließlich schaute sie mit gebrochenem Blick zu mir auf.
    »Ich …«, begann sie, dann versagte ihre Stimme.
    »Du hast den Obdachlosen gebeten, mir die Platten zu geben …«, sagte ich.
    Ihre Augen weiteten sich, und sie sah mich erstaunt an. »Woher –«
    »Du wolltest dich nach meinem Strafprozess auf diese Weise bei mir bedanken«, fiel ich ihr ins Wort. »Vielleicht auch ein bisschen dein schlechtes Gewissen beruhigen. Du wusstest aber auch, dass ich dieses Geschenk nie angenommen hätte. Also wähltest du diesen Weg. Was hast du dem Obdachlosen dafür gegeben? Zehn Euro?«
    »Fünf«, antwortete sie kaum hörbar.
    »Daher erreichte ich dich auch nicht, als ich dich mit meinem Handy aus dem Park anrufen wollte, um dir nach der Verhandlung von dem Urteil gegen mich zu erzählen.«
    Sie nickte. »Ich bin dorthin gegangen, um dir beizustehen. Doch als ich dich mit dem Rechtsanwalt in den Gerichtssaal gehen sah, traute ich mich nicht hinein. Ich befürchtete, dass es dir vielleicht irgendwie schadet, wenn ich erscheinen würde. Ich wartete vor der Tür, und als du herauskamst, folgte ich dir in den kleinen Park. Eigentlich wollte ich dir die Druckplatten selbst geben, aber dann hatte ich die Idee mit dem Obdachlosen.«
    »Und der Zeitungsartikel?«, wollte ich wissen.
    »Es war ein Zufall. Ich las in der Zeitung von dieser Buchrestauratorin, die Werke von Orffyreus restauriert hatte. Ich dachte deshalb, dass sie sich mit den Büchern von Bessler auskennen und den Wert der Druckplatten erkennen würde. Daher habe ich den Artikel ausgeschnitten und zu den Platten gelegt.«
    Ich hatte mir so etwas schon gedacht. Wir schwiegen einen Augenblick, und ich nahm einen Schluck aus dem Becher.
    »Wer war Orffyreus – dein Ur-Ur-Ur-Urgroßvater oder so, Frau Ingrid Bessler?«, fragte ich schließlich.
    Wieder riss sie ihre Augen weit auf. »Woher weißt du das?«
    »Die Kopie deines Personalausweises …«, antwortete ich.
    Ingrid schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn.
    »Ich Depp!«, rief sie ärgerlich.
    Über diese Reaktion musste ich fast lachen. Abermals schwiegen wir einen Moment.
    »Er war irgendein Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßonkel«, sagte sie schließlich. Ich nickte. »Meine Mutter hatte die Platten schon geerbt, und sie waren zuvor von Generation zu Generation weitergegeben worden. Irgendein Kunstschätzer, zu dem Siggi und ich die Platten einmal brachten, hatte sie vor zwanzig Jahren auf ein paar Tausend Deutsche Mark geschätzt. Es waren damals die letzten wertvollen Dinge, die wir noch besaßen.«
    Ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand. Sie hatte es nur gut gemeint und nicht ahnen können, welche Lawine sie mit ihrem Geschenk in Gang setzen würde. Plötzlich kam mir ein furchtbarer Verdacht. »Wusste auch Ansgar von den Druckplatten?«
    Ingrid schaute mich verständnislos an. »Wie meinst du das?«
    »Wusste Ansgar, dass du diese Druckplatten besessen hast?«
    Ingrid nickte. »Komisch, dass du danach fragst. Siggi oder ich müssen ihm irgendwann davon erzählt haben. Vielleicht haben wir sie ihm auch einmal gezeigt. Jedenfalls versuchte er ein paar Mal, sie mir abzukaufen.«
    »Wann zuletzt?«, wollte ich wissen.
    Ingrid schaute zur Decke, als würde dort die Antwort stehen, und zuckte mit den Schultern. »Wann genau, kann ich dir nicht sagen. Doch es war kurz vor dem Rechtsstreit, bei dem ich dich kennengelernt habe. Er hat mich damals noch einmal aufgesucht, um angeblich eine gütliche Einigung herbeizuführen. Dann fragte er, ob ich Geld brauche, und bot an, mir einiges zu geben – im Tausch gegen die Dampfmaschinen von Siggi und die Druckplatten. Er wusste, dass ich sonst nichts Wertvolles mehr besaß.«
    Ich strich mir mit meinen Händen über das Gesicht. Natürlich, so musste es sein. »Deswegen hat er versucht, dich zu ruinieren! Alles nur
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