Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Autoren: Tibor Rode
Vom Netzwerk:
Die kurz geschnittenen dunkelblonden Haare zeigten an den Schläfen einen ersten Schimmer von Grau, der vor einigen Wochen noch nicht zu erkennen gewesen war; das Gleiche galt für die Falten unter seinen Augen. Daher wirkte derjenige, der mir hier so unverhohlen entgegenstarrte, wie vierzig oder noch älter, doch er war erst zweiunddreißig Jahre, vier Monate und drei Tage alt.
    Die Nase war nicht ganz gerade, sondern hatte einen leichten Knick in der Mitte, aber vielleicht fiel dies auch nur mir auf. Mein Gegenüber verzog das Gesicht zu einem gekünstelten Lächeln, das in den Mundwinkeln spannte. Eine Reihe blitzweißer Zähne kam zum Vorschein. Zähne verrieten den Gemütszustand ihres Besitzers nicht, dachte ich. Ich hatte den Mann bereits an den verschiedensten Orten getroffen: in Toiletten, an Seen oder flüchtig beim Schaufensterbummel. Doch heute kam er mir reifer vor. Er trug denselben Anzug wie ich und hatte zudem mit einem Meter zweiundachtzig haargenau meine Körpergröße. Auch unsere Namen waren identisch: Robert Weber. Hinter seinem Rücken öffnete sich plötzlich eine Tür, und ich sah, wie eine junge Frau zu ihm trat. Ihr schwarzes Kostüm betonte ihre atemberaubende Figur, und ihre langen Haare fielen wild über ihre schmalen Schultern. Ich drehte mich um und gab ihr einen Kuss.
    »Die Anwälte sind da – mit dem Vertrag!«, sagte sie und ordnete mit einer liebevollen Geste meine Frisur. Sie warf meiner seitenverkehrten Kopie einen flüchtigen, aber verführerischen Blick zu und verschwand durch die Tür, durch die sie gekommen war.
    Ich fing mit beiden Händen das kalte Wasser auf, das seit geraumer Zeit vor mir in den Abfluss plätscherte, und warf es mir ins Gesicht. Dann drehte ich den Wasserhahn zu, nahm eines der flauschigen Handtücher und trocknete mir damit Gesicht und Hände. Anschließend verabschiedete ich mich von meinem Spiegelbild im Badezimmer des Empire Riverside Hotels.
    Wenn mein Ebenbild und ich uns das nächste Mal wiedersahen, würde ich um dreißig Milliarden und eine Million Euro reicher sein – und erneut auf der Flucht.
    Einige Monate zuvor
    Es war ein sogenannter italienischer Torpedo, der meine Karriere beenden sollte. Kurioserweise war ich es selbst, der ihn abfeuerte. Dem ging eine Entscheidung voraus, auf welcher Seite ich stehen wollte. Ich hatte die Wahl zwischen der richtigen und der einzig möglichen. Natürlich entschied ich mich für Letzteres.
    Alles hatte mit meiner ersten Anstellung als frischgebackener Patentanwalt begonnen.
    Wer bei dem Beruf des Patentanwalts an einen Juristen denkt, der irrt. Wer Patentanwalt werden möchte, muss nicht Jura studieren. Erforderlich ist vielmehr ein naturwissenschaftliches oder technisches Studium.
    Ich hatte Physik studiert. Meiner Universitätszeit schloss sich eine Zusatzausbildung in einer Patentanwaltskanzlei und beim Deutschen Patentamt an. Die abschließenden Prüfungen zum Patentanwalt absolvierte ich als einer der besten meines Jahrgangs. Dabei trieb mich nicht der unbedingte Wille an, beruflich ganz nach oben zu kommen, sondern vielmehr der Wunsch, es einmal besser zu haben als meine Eltern. Dies erscheint mir im Nachhinein seltsam, da auch sie bis heute ein recht gutes Leben geführt haben.
    Mein Vater hatte jahrzehntelang als Flugzeugmechaniker am Hamburger Flughafen gearbeitet, bis er wegen eines Rückenleidens in Frührente gehen musste. Meine Mutter war Krankenschwester und halbtags in einem evangelischen Krankenhaus tätig. Das Leben in unserer Familie verlief zumeist harmonisch: Wir hatten oft Spaß miteinander und unterstützten uns gegenseitig, und es gab selten Streit. Alles, was wir nicht hatten, war Geld. Merkwürdigerweise führte allein dieser Mangel zu der allgemeinen Annahme, dass es mir einmal besser ergehen müsste als meinen Eltern. Weder mein Vater noch meine Mutter noch irgendein Vorfahre, an den man sich erinnerte, hatte studiert, und so war es von frühester Kindheit an eine ausgemachte Sache, dass ich der Erste aus der Familie Weber sein würde, der eine Universität besuchen sollte. Ich werde niemals den Blick meines Vaters bei der Abschlussfeier der physikalischen Fakultät vergessen. An diesem Tag erhielt nicht nur ich ein Diplom verliehen, sondern auch er. Wie viel größer war der Stolz meiner Eltern, als ich auch noch Anwalt wurde. Ich war der erste Anwalt, den sie persönlich kannten.
    Mein guter Abschluss brachte mir ein Angebot der bekanntesten Patentanwaltskanzlei in Hamburg
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher