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Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Autoren: Tibor Rode
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ein, und so begann ich meine Laufbahn in einem Büro in der Hamburger Hafencity. Mein Büro verfügte über bodentiefe Fenster und bot einen fantastischen Ausblick auf die Elbe. Diesen Ausblick ersparte ich mir jedoch bereits nach meinem ersten Arbeitstag: Obwohl ich vier Stockwerke über dem Fluss an einem Schreibtisch saß, löste der Anblick des sich leicht bewegenden Wassers bei mir das gleiche Gefühl von Seekrankheit aus wie bei einer längeren Schiffsfahrt.
    Ich weiß nicht, ob die Nähe zu einem Gewässer in mir die Idee zum Abschuss des italienischen Torpedos auslöste. Wahrscheinlicher ist, dass es der unerträgliche Charakter meines ersten eigenen Mandanten war. Er gehörte zu dem Typ Mensch, der als junger Erwachsener ohne große Mühe zu Geld gekommen war und dies vor allem seiner Rücksichtslosigkeit verdankte. Als Anwalt war ich für ihn genauso wenig respekteinflößend wie alle anderen, die er bezahlte – einschließlich seiner Ehefrau. Sie war gut halb so alt wie er und begleitete ihn zu dem Termin in unserer Kanzlei. Begleitet wurde sie wiederum von einem kleinen Schoßhund, der schnüffelnd zwischen unseren Beinen umherirrte. Wir saßen im Konferenzraum der Kanzlei, der Besprechungszimmer und Visitenkarte zugleich war; aufgrund seines atemberaubenden Blicks über das Panorama des Hamburger Hafens erinnerte er eher an eine Aussichtsplattform.
    »Sie müssen jemanden zur Räson bringen«, begann mein neuer Mandant das Gespräch und lächelte. Ich schätzte ihn auf etwa siebzig Jahre. Seine Haare wirkten durch den Kontrast zu der typischen Gesichtsbräune eines Golfspielers noch weißer, als sie eh schon waren. Er hatte wohl ursprünglich einen sorgsam gekämmten Scheitel getragen, doch jetzt standen einige Strähnen senkrecht nach oben. Für mich verriet die Frisur, dass er Cabrio-Fahrer war. Auch in unseren Büroräumen hatte er seine Sonnenbrille nicht abgenommen.
    Dr. Hans Grünewald, einer der Seniorpartner der Kanzlei, hatte diesen Termin mit diesem Mandanten vereinbart, konnte nun aber nicht selbst an dem Treffen teilnehmen. So durfte ich jetzt zum ersten Mal ganz allein – ohne einen der Seniorpartner an meiner Seite – einen Mandanten betreuen und war deshalb recht angespannt. Dies war auch einer der Gründe, weshalb ich auf seine aggressive Eröffnung zurückhaltend reagierte.
    »Erzählen Sie bitte erst einmal, worum es geht«, ersuchte ich ihn.
    Er ignorierte meine Bitte. »Ich möchte alles pfänden lassen, was sie besitzt«, erklärte er und grinste selbstgefällig. »Das ist wichtig. Ein Blutbad, ich will ein richtiges Gemetzel. Es muss wehtun!«
    Er warf seiner Ehefrau einen Blick zu, als ob er von ihr erwartete, dass sie seine Forderungen bekräftigte. Doch sie lächelte verlegen und beugte sich zur Seite, um ihrem Hund ein Leckerli zu geben.
    »Ich bin kein Auftragsmörder oder so etwas«, entgegnete ich etwas ärgerlich.
    Das Grinsen im Gesicht meines Mandanten erstarb, und er schaute mich überraschend ernst an. »Nicht?«, fragte er mit gespielter Enttäuschung. »Aber Hans hatte mir doch jemanden mit Killerinstinkt versprochen!«
    Sogleich brach er in heftiges Lachen aus.

2
    Gera, 1712
    Der Platz vor dem Richter’schen Freihaus war überfüllt. Immer mehr Neugierige drängten auf den Nikolaiberg und schoben dabei die in der ersten Reihe Stehenden gegen die aus Holz gefertigte Bühne. Hinten fluchte man, weil vorne scheinbar nicht aufgerückt wurde; vorne stießen die Leute Verwünschungen gegen ihre Hintermänner aus, weil sie zu sehr drückten.
    Auf dem Podium vor der Menschenmasse erhob ein Mann seine kräftige Stimme und versuchte, gegen den Lärm anzuschreien. Er war ein gut aussehender Mann im besten Alter und von ungewöhnlich großer Statur. Auf seiner Allongeperücke bildete das Mehl einen weißen Schleier wie Raureif; ein untrügliches Zeichen von Wohlstand, da das Pudern der Perücken mit Mehl gerade erst mit einer kräftigen Steuer belegt worden war. Die Kleidung des Mannes entsprach der eines Adeligen. Über der modischen Kniehose trug er ein weißes Hemd, darüber eine kunstvoll bestickte Weste. Der nur leicht geöffnete, samtblaue Justaucorps fiel gerade bis über die Knie und wies so gut wie keine Taillierung auf. Um den Hals hatte der Mann die obligatorische Cravate gebunden, was in diesem Fall nichts anderes war als ein schneeweißes Halstuch.
    »Ihr Bürger von Gera, tretet näher und bestaunt hier in Eurer Stadt eine Premiere. Seid Zeuge, wie der vom
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