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Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Autoren: Tibor Rode
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deswegen.«
    »Weswegen?«, fragte Ingrid. Sie verstand immer noch nicht.
    »Wegen der Druckplatten. Ich wette, sie stecken dahinter. Sie haben Ansgar ausgesucht, um sie dir abzujagen. Wurde bei dir in den letzten Monaten irgendwann einmal eingebrochen?« Ingrid starrte mich mit offenem Mund an.
    »Ja, vor einigen Monaten, es wurde aber nichts gestohlen …«
    »Und die Druckplatten?«
    »Die waren im Tresor der Sparkasse eingelagert.«
    »Sie konnten sie also nicht stehlen. Daher brauchten sie jemanden, der dich kannte, dir aber nicht wohlgesonnen war – Ansgar. Er sollte dich endgültig ruinieren. Früher oder später hättest du die Druckplatten verkaufen müssen. Oder noch besser: Ansgar hätte sie im Zuge des Rechtsstreits gepfändet. Ein genialer Plan und fast legal.«
    »Wen meinst du mit ›sie‹?«, wollte Ingrid wissen.
    Schon wollte ich antworten, schwieg dann aber eine Weile.
    »Tu mir einen Gefallen«, bat ich sie schließlich. »Vergiss alles, was ich zuletzt geredet habe! Und sprich niemals mit irgendjemandem darüber.«
    Ingrid blickte mich erneut verständnislos an.
    »Versprich es mir!«, forderte ich sie auf.
    Sie sah mich fragend an.
    »Versprich es mir!«, wiederholte ich.
    Sie nickte unsicher.

132
    Cassel, 1727
    Viele Hände berührten ihn. Doch Orffyreus konnte nichts sehen, da sein Kopf noch immer vom Leinensack eingehüllt war. Er wusste nur, dass die Soldaten ihn aus dem Polizeigebäude hinausgezerrt hatten, und danach waren sie ein kurzes Stück mit der Kutsche gefahren. Kaum hatte das Gefährt gehalten, wurde er erneut ins Freie gezogen.
    Er wusste nicht, wo sie ihn hinbrachten. Instinktiv hatte er sich gewehrt und mit den Füßen um sich getreten, da seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Doch damit hatte er mittlerweile aufgehört, weil er kaum noch Luft bekam. Bei jedem stärkeren Atemzug wurden die Fasern des Sacks in seinen trockenen Mund gesogen und verstärkten das Gefühl, ersticken zu müssen.
    Er hörte Männerstimmen, die sich im Flüsterton unterhielten. Einmal liefen sie in eine bestimmte Richtung, dann schien es so, als gingen sie denselben Weg wieder ein Stück zurück. Es klang so, als würden die Männer sich miteinander streiten. Nach endlosem Hin und Her wurde er schließlich gezwungen, sich auf den nackten Boden zu legen. Die Erde unter ihm fühlte sich nass und kalt an. Jemand lachte laut und lockerte seine Fesseln. Jedoch nicht vollständig. Dann wurde es ruhig um ihn herum. Eine Zeit lang konnte er noch die Stimmen der Männer vernehmen. Dann hörte er ein letztes Mal jemanden in der Ferne fluchen, bevor endgültig Stille eintrat.
    Mühsam drehte er sich auf die Seite und begann, mit den Fingern an den Fesseln zu zerren. Nach einer Weile hatte er sie so weit gelöst, dass er eine Hand aus der Schlinge ziehen konnte. Sofort riss er sich den Sack vom Kopf und schnappte als Erstes nach Luft. Sie war kühl und feucht, und es roch nach frischem Gras. Er versuchte, sich zu orientieren, doch es war stockdunkel. Er befreite die andere Hand vom Strick, mit dem man ihn gefesselt hatte, und stand auf.
    Über ihm wölbte sich der Sternenhimmel. Er ging langsam geradeaus und lief sogleich in ein Gebüsch. Dann wandte er sich um und machte ein paar vorsichtige Schritte in die andere Richtung. Auch hier fühlte er plötzlich die Zweige einer Hecke in seinem Gesicht. Endlich fand er eine Richtung, in der er ungehindert mehrere Meter zurücklegen konnte. Er streckte die Arme zu beiden Seiten aus. Beide Hände berührten Blätter und Äste. Auf einmal wurde ihm klar, wo er sich befand: Die Soldaten hatten ihn auf Geheiß des Polizeidirektors mitten im Irrgarten des landgräflichen Parks freigelassen.

133
    Während eines Jahres öffnet ein Mensch mindestens dreihundertfünfundsechzig Mal seine Augen – die unzähligen Male am Tage und während der Nacht nicht mitgezählt. Das sind in zehn Jahren dreitausendsechshundertfünfzig Mal. In einem durchschnittlichen Leben von siebzig Jahren mehr als zweihundertfünfundfünfzigtausendfünfhundert Mal.
    Rechenspiele dieser Art gingen mir durch den Kopf, während ich an Julias Bett saß und darauf wartete, dass sie wieder aufwachte. Und dann passierte es: Niemals zuvor und niemals danach freute ich mich so sehr über das Öffnen eines Augenpaars. Erst war es ein Zittern in den Augenlidern. Ich war selbst gerade kurz eingenickt und wusste nicht, wie lange es bereits angedauert hatte, als ich es entdeckte. Dann ging das Zittern in ein
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