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Colin Cotterill

Titel: Colin Cotterill
Autoren: Dr. Siri und seine Toten
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Colin Cotterill
    Dr. Siri und seine Toten
    -Dr. Siri 01-
    KRIMINALROMAN
    Prolog
    DEMOKRATISCHE VOLKSREPUBLIK LAOS,
    OKTOBER 1976
    Tran, Tran und Hok brachen durch die letzten schweren Wolken der Regenzeit. Die warme Nachtluft verzerrte ihre Lippen zu einem gequälten Lächeln und ließ ihnen die Haare buchstäblich zu Berge stehen. Sie fielen in perfekter Formation, wie Hagelkörner. Für elegante Figuren oder waghalsige Kunstflüge war keine Zeit; sie folgten einfach den Bomben, die mit rosa Nylonschnur an ihren Fußgelenken befestigt waren.
    Tran der Ältere lag in Führung. Er war der Schwerste der drei. Als er die Oberfläche des Nam-Ngum-Stausees durchschlug, hatte er bereits zwei Sekunden Vorsprung. Bei den Olympischen Spielen hätte er damit eine Note von etwa 9.98 erzielt. Es spritzte kaum. Tran der Jüngere und der doppelttote Hok stachen fast gleichzeitig ins Wasser.
    Eine Vierteltonne entschärfter Artil erie zog die drei Männer rasch auf den schlammweichen Grund des Sees und verankerte sie dort. Zwei Wochen lang wiegten sich Tran, Tran und Hok sanft in der Strömung und nährten die Fische und Algen, die sich an ihnen gütlich taten wie an einer träge dahintreibenden Unterseegarküche.

    1
    VIENTIANE, ZWEI WOCHEN SPÄTER
    Es war eine deprimierende Audienz und beileibe nicht die letzte ihrer Art.
    Jetzt, wo Haeng, der pickelige Richter, wieder da war, musste Siri jeden Freitag bei ihm zum Rapport antreten und seinen Kotau machen vor einem Mann, der ohne Weiteres sein Enkel hätte sein können.
    Die  Marxisten-Leninisten nannten eine solche Aussprache,  »Enlastungsschulung«.Abernachdem er eine geschlagene Stunde vor Richter Haengs verzogenem Sperrholzpult gesessen hatte, drückte ihn seine Last noch schwerer als zuvor. Der frischgebackene Richter machte sich einen Spaß daraus, laienhafte Zweifel an Siris Obduktionsberichten anzumelden und deren Rechtschreibung zu korrigieren.
    »Und worauf führen Sie den Blutverlust zurück?«, erkundigte sich Richter Haeng.
    Siri überlegte zum wiederholten Mal, ob es sich um eine Fangfrage handelte.
    »Nun ja.« Er dachte einen Augenblick nach. »Viel eicht auf das Unvermögen des Körpers, das Blut bei sich zu behalten?« Der kleine Richter machte »Hm«
    und warf einen neuerlichen Blick in den Bericht. Er war selbst für Sarkasmus zu dumm. »Es könnte natürlich auch damit zu tun haben, dass dem armen Mann die Beine oberhalb der Knie abgeschnitten wurden. Es steht al es im Bericht.«
    »Das sagen Sie, Genosse Siri. Ich hingegen kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie bei der Auswahl dessen, was Sie Ihren Lesern mitzuteilen gedenken, äußerst selektiv verfahren. Ich würde es begrüßen, wenn Sie künftig etwas mehr ins Detail gehen könnten. Außerdem habe ich, ehrlich gesagt, so meine Zweifel, ob tatsächlich der Blutverlust zum Tod geführt hat und nicht doch…«
    »Herzversagen?«
    »Genau. Als ihm die Beine abgetrennt wurden, war das ohne Frage ein fürchterlicher Schock. Da wäre es doch durchaus möglich, dass er einen Herzanfal erlitten hat. Er war schließlich nicht mehr der Jüngste.«

    Schon in den drei zuvor besprochenen Fäl en hatte der Richter für eine natürliche Todesursache plädiert und versucht, die Fakten entsprechend zu verdrehen, aber dies war sein bislang kreativster Vorschlag. Siri hatte das Gefühl, dass der Richter regelrecht entzückt gewesen wäre, wenn in sämtlichen Obduktionsberichten, die über seinen Schreibtisch wanderten,
    »Herzversagen« gestanden hätte.
    Gewiss, das Herz des Fischers hatte aufgehört zu schlagen, aber das war eher das untrügliche Zeichen für seinen Tod als dessen eigentliche Ursache.
    Die mit einer neuen Panzerung versehene Armeebarkasse war gegen den Betonkai in Tha Deua gekracht. Wegen des zusätzlichen Gewichts hatte sie besonders tief im Wasser gelegen. Zum Glück der Besatzung wurde der Aufpral durch den Fischer abgefangen, der in seinem hölzernen Langboot an der Kaimauer stand und der Barkasse nicht ausweichen konnte. Wie so viele Fischer auf dem Mekong war er Nichtschwimmer.
    Das vorspringende Stahldeck schnitt ihn entzwei wie eine Sichel einen Reishalm, während die Reling ihn gegen die Mauer presste. Der peinlich berührte Kapitän und seine Crew zogen ihn - oder, besser, seinen Torso - an Deck, wo er in dumpfer Verwirrung liegen blieb, lachend und plappernd, als wüsste er nicht, dass ihm zwei Gliedmaßen fehlten.
    Das Boot setzte zurück, und die Leute am Ufer sahen, wie die
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