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Das Prachtstück

Das Prachtstück

Titel: Das Prachtstück
Autoren: Brigitte Riebe
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geweint hatte. Linda lief zurück und drückte den schlafwarmen, kleinen Körper fest an sich.
    Â»Ein großer, großer See, und unser Boot hat fürchterlich geschaukelt«, schluchzte die Kleine. »Und eine Katze hat geweint, weil ihre Mami ertrunken ist. Und du, du warst am anderen Ende, ganz weit weg, und bist nicht gekommen. Obwohl ich ganz laut gerufen hab’. Die ganze lange Zeit!«
    Â»Scht, scht, ganz ruhig. Ich bin ja da! Hier bei dir.« Linda wiegte sie behutsam. »Das war nur ein Traum, den du ganz schnell wieder vergisst.« Ihre Stimme wurde übertrieben streng. »Hau bloß ab, du blöder, gemeiner, unverschämter Traum und lass gefälligst mein kleines Mädchen in Ruhe! Sonst holen wir den dicken, fetten Traumfresser, und dann kannst du was erleben! Der putzt dich auf der Stelle weg, das sag’ ich dir!«
    Selbsterfundene Zaubersprüche wie dieser halfen in der Regel, heute jedoch blieb die erwünschte Wirkung aus. »Aber ich bin noch immer traurig. Und ich mag München nicht. Nach Hause«, quengelte Feli weiter, »ich will nach Hause. Zu Popa und Moma. Und meinem lieben, lieben Garfield.«
    Das letzte traf die Ursache ihres Kummers vermutlich am präzisesten. Hugo und Margas dicker roter Kater, der sich nun mal leider nicht die Bohne aus kleinen Kindern machte, war von Feli seit ihren ersten Lebenstagen ebenso hemmungslos wie vergeblich angebetet worden.
    Â»Wir besuchen deinen Garfield ganz bald«, versuchte Linda sich aus der Affäre zu ziehen. »Versprochen! Außerdem kann ich Moma anrufen und sie bitten, dass sie ein neues Foto von ihm macht. Das stellst du dir an dein Bett. Und dann kann er immer ganz nah bei dir sein.«
    Â»Morgen, Mami? Fahren wir gleich morgen zu ihm?«
    Morgen bestimmt nicht!, dachte Linda, während sie Feli nach nebenan ins Bad trug. Die Tränen waren zum Glück versiegt, die Gemütslage jedoch noch immer instabil. Die Kleine spielte Baby, kuschelte sich an sie, wollte partout nicht laufen. Und übermorgen ebenso wenig! Linda ließ Wasser in die Wanne ein, gab ein bisschen Duschgel dazu und zog die rote Schwimmente auf, die fröhlich lospaddelte – alles unentbehrliche Utensilien, die sie ganz obenauf gepackt hatte, um sich unnötigen Stress zu ersparen. Dann knöpfte sie Felis Nachthemd auf. Ein runder, niedlicher Kinderbauch streckte sich ihr entgegen. Sie prustete darauf, und Feli kicherte entzückt.
    Kein Junge, ganz offensichtlich, und somit auch kein vollwertiger Stammhalter und Erbe für Foto-Becker – aber immerhin ein lebendiges Enkelkind aus Fleisch und Blut. Marga und Hugo, Michas bis heute untröstliche Eltern, hatten keine Zeit verloren, um sich zu sichern, was ihrer Ansicht nach ihr gutes, angestammtes Recht war. Anfangs, gleich nach der Geburt, als Felis nächtliche Schreikrämpfe und ein zweistündiger Stillrhythmus Linda sehr bald an ihre Grenzen brachten, war es ihr nicht einmal unlieb gewesen. Wenigstens irgend jemand, hatte sie damals gedacht, gebeutelt von einem schier überwältigenden Gefühl des Verlassenseins, der sich um sie kümmerte und bestrebt war, ihr die Widrigkeiten des Alltags ein bisschen zu erleichtern. Ihr Vater war lange tot, und mit ihrer Mutter konnte sie bis auf weiteres nicht rechnen. Keine Geschwister, weder Onkel noch Tanten. Auf ihrer Seite gab es eigentlich nur Melita, die total verrückte Kusine aus dem Allgäu, seit Jahren voll auf dem Ökotrip, die sich seit neuestem sogar weigerte, Lederschuhe zu tragen, weil sie es für eine Sünde hielt, Tiere weiterhin derart hämisch auszubeuten. Vielleicht hatte sich Linda deshalb ohne Murren der Beckerschen Autorität unterstellt, im Bestreben, nach Michas tragischem Verlust mit ihrem Neugeborenen wenigstens zu einer Familie zu gehören. Und zu einer halbwegs normalen noch dazu.
    Ein folgenschwerer Irrtum, wie sich alsbald herausstellen sollte.
    Feli hatte trotz aller Vorsicht doch Seife in die Augen bekommen und kreischte los wie am Spieß. Linda musste eine neue Entenrunde einlegen, bevor die Kleine sich wieder einigermaßen beruhigte. Sie hob sie aus der Wanne, trocknete sie ab und wickelte sie in ein großes Badetuch. Dann musste Feli kurz den Fön ertragen und bekam anschließend den Walkman auf die Ohren für ein paar Minuten »Pumuckl«, bis Linda mit der eigenen Morgentoilette soweit war.
    Marga hatte sich nach wenigen
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