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Das Prachtstück

Das Prachtstück

Titel: Das Prachtstück
Autoren: Brigitte Riebe
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Wochen als eine zu allem entschlossene Diktatorin entpuppt; Hugo als ihr willfähriger Vollstreckungsgehilfe. Auf was die beiden auswaren, was einzig und allein in ihren Augen zählte, war das Kind, und Linda diente bei der ganzen Angelegenheit bestenfalls als notwendiges Mittel zum Zweck. Dabei stellten sie es durchaus raffiniert an, indem sie mit der ganz langen Leine begannen. Zunächst also die berühmte weiche Tour: Sach- wie Geldgaben flossen beinahe wie einst im berühmten Schlaraffenland, allerdings nur unter bestimmten Vorgaben.
    Sie hatte ihre Blitzdusche beendet, sich abgetrocknet und im Schnellverfahren eingecremt. Ein kurzer, kritischer Blick in den Spiegel. In der Regel war sie nicht unzufrieden mit dem, was ihr da entgegenblickte. Heute allerdings bemerkte sie kritisch die dunklen Ringe unter den Augen und einen Pickel am Kinn, dem sie auf der Stelle zu Leibe rückte. Der Rest war in Ordnung. Schräge, je nach Lichteinfall mal graue, mal grüne Augen, gerade Nase, ein voller, ausdrucksvoller Mund, den sie am liebsten mit kräftigem Lippenrot betonte. Zum Glück wuchsen auch die honigblonden Haare wieder nach, die ein schwuler Friseur in Frankfurt vor ein paar Monaten in einem Anfall fehlgeleiteter Kreativität bis auf Streichholzlänge abgeraspelt hatte.
    Â»Mami, auch Lippenstift!«
    Manchmal klang Feli fast so gebieterisch wie Marga. Sie bekam trotzdem den gewünschten Hauch, ehe sie sich wieder befriedigt Pumuckls Streichen zuwandte.
    Ob sie sie zu sehr verwöhnte? Und wenn schon! Schließlich musste sie versuchen, den fehlenden Vater irgendwie wettzumachen. Selbst wenn sie ganz genau wusste, dass dies trotz aller Bemühungen unmöglich war. Klar, erinnerte sich Linda, während sie in Jeans und eine helle Leinenbluse fuhr, dass sie und die Kleine binnen kurzem aus der gemütlichen Parterrewohnung zu Marga und Hugo ins extra ausgebaute Dachgeschoss übersiedelt waren. Dass von da an jeder Sonntag Popa-und-Moma-Tag war, von den mehrwöchigen gemeinsamen Jahresurlauben ganz zu schweigen, bei denen Linda immer weniger erwünscht war. Dass die beiden sich anmaßten, zu allem und jedem ihre Meinung zu äußern und mit Ratschlägen in Ernährungs- und Erziehungsfragen keineswegs hinter dem Berg hielten. Und dass sie schließlich von Linda erwarteten, sie würde zumindest stundenweise in einer der Foto-Becker-Filialen arbeiten, die sich dank der Tüchtigkeit ihrer Schwiegereltern fast pilzartig überall in Südhessen ausbreiteten. Denn wozu gab es schließlich Moma, die sich ohnehin besser als jeder andere Mensch auf diesem Planeten um Felicitas kümmern konnte?
    Linda steckte Feli in ihre alte Oshkosh, einen geringelten Pulli und Baumwollsocken und versuchte, mit einer weichen Bürste die widerspenstigen Brandlöckchen zu entwirren. Was natürlich nicht ohne erhebliches Protestgeschrei abging. Bis zum heiß ersehnten Ferdeschwanz würde vermutlich noch eine ganze Weile ins Land gehen müssen.
    Sie hatte sich den Schwiegereltern gefügt. Zähneknirschend. Und viel zu lange. Bis sie unter permanenten Rückenschmerzen litt, die keine Massage vertreiben konnte, und im Hals einen dicken Kloß spürte, der von Woche zu Woche unaufhaltsam wuchs. Zur längst fälligen Entladung kam es, als Hugo und Marga Feli vom Kindergarten abmeldeten. Spontan, wie sie beteuerten, und natürlich ohne es zuvor mit ihr abzusprechen. Es hatte vereinzelte Keuchhustenfälle in der Gruppe gegeben, und die beiden wollten ihre Enkelin um keinen Preis dieser gesundheitlichen Gefährdung aussetzen. So zumindest die offizielle Version. In Wirklichkeit haderten sie schon lange mit den ihnen fremden und damit suspekten Methoden einer jungen Erzieherin, die die Kinder bei schönem Wetter nackt herumplanschen ließ und nicht sofort hysterisch wurde, wenn ein paar männliche und weibliche Knirpse unter einem Tischtuch Onkel Doktor spielten.
    Inzwischen war es Linda tatsächlich gelungen, Feli ohne Theater aus der Wohnung zu schleusen. In ihren Regenjacken stiegen sie gemeinsam die Stufen hinunter, so viele, dass Linda – nicht zum ersten Mal, wenn sie ehrlich war – mit leisem Grauen an die schweren Einkaufstüten dachte, die sie künftig in entgegengesetzter Richtung heraufschleppen musste.
    Es goss noch immer. Sie trug dünne Lederslipper und Feli ihre blauen Erdbeerturnschuhe vom letzten Spanienurlaub. Nach ein
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