Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch
Autoren: brooks
Vom Netzwerk:
Dunkeln im Vorüberflattern g e schwinde streifen.
    Wenn ich in einer Sommernacht im Obstgarten meine Augen schließe, kann ich die hohen Kinde r stimmen hören: Flüstern und Lachen, Füß e getrappel und Blätterrascheln. Immer zu dieser Zeit im Jahr denke ich an Sam – den starken Sam Frith, und wie er mich um die Taille fasst und auf den Ast eines knorrigen alten Baumes hebt. »He i rate mich«, sagte er. Und warum sollte ich nicht? Die Kate meines V a ters war seit je ein freudloser Ort. Mein Vater liebte das Bier mehr als seine Kinder, obwohl er jahrein, jah r aus immer welche bekam. Für meine Stiefmutter Aphra war ich in erster Linie ein Paar Hände und erst danach ein Lebewesen, eine, die sich um ihre Jüng s ten kü m mert. Und doch war sie es, die sich für mich ei n setzte. Ihre Worte beeinflussten meinen Vater so, dass er seine Zustimmung gab. In seinen Augen war ich noch immer ein Kind, zu jung, um in die Ehe versprochen zu werden. »Mann, mach deine Augen auf und schau sie dir an«, sagte Aphra. »Du bist der einzige Mann im Dorf, der’s nicht tut. Besser, früh von Frith gefreit, als von irgen d einem Jüngling ins Bett gezerrt, dessen Schwanz härter ist als seine M o ral.«
    Sam Frith war Bergmann und hatte ein eigenes Bleiflöz zum Arbeiten. Er besaß ein hübsches kleines Häuschen. Seine erste Frau war gestorben, ohne ihm Kinder zu hinterlassen. Es dauerte nicht lange, und ich hatte Kinder von ihm. Zwei Söhne in drei Jahren. Drei gute Jahre, sollte ich wohl sagen, denn inzw i schen gibt es viele, die zu jung sind, um zu wissen, dass wir damals nicht im Glauben an zukünftiges Glück aufgewachsen sind. Damals hatten die Purit a ner hier im Dorf das Sagen. Inzwischen setzt man den wenigen, die noch unter uns sind, schwer zu. Mit ihren Predigten, denen wir in einer Kirche ohne j e den Zierrat lauschten, wuchsen wir auf. Ihre Ansic h ten bestimmten, was heidnisch war, dämpften den Sa b bat und ließen die Kirchenglocken verstummen. Das Bier verschwand aus der Taverne und die Spitze von den Kleidern, die Bänder vom Ma i baum und das Lachen aus den Dorfstraßen. De s halb überfiel mich das Glück, das mir aus meinen Söhnen und aus dem Leben entgegenlachte, für das Sam sorgte, so unve r hofft wie das erste Ta u wetter im Frühling. Als sich alles erneut in trostloses Elend verwandelte, übe r raschte es mich nicht. R u hig trat ich an die Türe, in jener Nacht mit ihren blakenden Fackeln und gelle n den Rufen und den Mä n nern mit den rabenschwarzen Gesic h tern, die im Dunkeln kopflos wirkten. Auch diese Nacht kann der Obstgarten wiederbringen, wenn ich hier in Geda n ken verweile. Unter der Türe stand ich, mit dem Kleinsten im Arm, und sah, wie die Fackeln auf und nieder tanzten und ir r witzige Lichtbänder durch die Bäume flochten. »Geht lan g sam«, flüsterte ich. »Geht langsam, denn erst, wenn ich die Worte höre, ist’s wahr.« Und sie gingen lan g sam und mühten sich den kleinen Hügel hinauf, als war’s ein Berg. Aber so langsam sie auch gingen, schließlich waren sie doch am Ziel, stießen einander an und traten von einem Bein aufs andere. Den Grö ß ten, Sams Freund, schoben sie nach vorne. An se i nem Stiefel klebte ein fa u liges Stück Apfel, zu Brei getreten. Seltsam, dass man so etwas bemerkt, aber ve r mutlich hatte ich nach unten gesehen, um ihm nicht ins Gesicht scha u en zu müssen.
    Vier Tage gruben sie Sams Leichnam aus. A n statt zu mir nach Hause brachten sie ihn direkt zum Kü s ter. Sie versuchten, ihn vor mir zu ve r bergen, aber ich ließ mich nicht abhalten. W e nigstens diese letzte Ehre würde ich ihm erweisen. Sie wusste das. »Sag ihnen, sie sollen sie zu ihm lassen«, sagte Elinor Mompellion mit ihrer san f ten Stimme zum Pfarrer. Kaum hatte sie gesprochen, war es auch schon vo r bei. Sie bat ihn ja so selten um etwas. Und auf das Nicken von Michael Mompellion hin traten sie be i seite, die hünenha f ten Männer, und ließen mich durch.
    Offen gestanden war nicht mehr viel von ihm ü b rig. Und doch versorgte ich das Wenige, das noch da war. Zwei Jahre ist das her. Seitdem h a be ich viele Leichen versorgt, Menschen, die ich liebte, und Menschen, die ich kaum kannte. Aber Sam war der Erste. Ich wusch ihn mit der Seife, die er so gerne hatte, weil sie, wie er sagte, nach den Kindern duft e te. Armer schwerfälli ger Sam. Ihm wurde nie ganz klar, dass es die Kinder waren, die nach Seife duft e ten. Jeden Abend, ehe er heimkam, wusch ich sie damit. Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher