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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch
Autoren: brooks
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hostkorrespondentin für das Wall Street Journal in London gearbeitet. Zwischen Aufenthalten in heißen Problemzonen wie Gaza und Bagdad versuchte ich, draußen in der englischen Landschaft wieder zu mir zu kommen. Während einer dieser Wanderungen, von den Engländern euphemistisch »Spaziergänge« genannt, stieß ich auf einen faszinierenden Wegwe i ser, der auf ein Pestdorf aufmerksam machte. In der dortigen Pfarrkirche St. Lorenz entdeckte ich auf e i ner Schautafel die leidvolle Geschichte der Dorfb e wohner und ihres außergewöhnlichen Entschlusses.
    Dieser entsetzliche Bericht berührte mich so sehr, dass er mir nicht mehr aus dem Sinn ging. Während ich im Laufe der nächsten Jahre über die Tragödien unserer heutigen Zeit berichtete, die sich zum Be i spiel in Bosnien oder Somalia abspielten, drehten sich meine Gedanken immer wieder um Eyam, bis mir klar wurde, dass ich eigentlich nur einen Wunsch hegte: diese Geschichte zu erzählen. Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als ich meinen Wohnsitz in Virginia auf dem flachen Land aufschlug, in einem Dorf, das ungefähr die Größe von Eyam hatte. In diesem Umfeld nahm die Geschichte der Quarantäne und ihrer Folgen immer konkretere Züge an. Ich wurde nachdenklich. Was würde in jemandem vo r gehen, der s ich zu einer solchen Entscheidung durc h ringt und letztlich feststellen muss, dass binnen eines Jahres zwei Drittel seiner Nachbarn tot sind? Wie würden unter diesen Umständen der Glaube, famili ä re Beziehungen und Gesellschaftsstrukturen überl e ben?
    Im vorletzten Sommer bin ich für tiefer gehende historische Recherchen wieder nach Eyam gefahren und habe dabei die Bilder der kargen, aber schönen Landschaft des Peak Districts erneut auf mich wirken lassen. Ich habe lange mit dem Dorfchronisten John G. Clifford gesprochen, Verfasser des informativen Buchs Die Pest in Eyam 1665-1666. Dabei habe ich auch das kleine, aber hervorragend betreute Dorfm u seum besucht. William Styron schrieb einmal, ein Verfasser von historischen Romanen arbeite dann am besten, wenn er historische Dokumente »häppche n weise« zu sich nähme. Obwohl über Eyam eine Menge geschrieben worden ist – Bücher, Theaterst ü cke, ja sogar eine Oper –, gibt es nur spärlich Fakten. In Eyam selbst wird noch immer über spezielle Th e men diskutiert: Wie groß war die Dorfbevölkerung vor der Pest? Wie kam die Krankheit hierher? Wie viele sind gestorben? Gleichzeitig gibt es einen üpp i gen Anekdotenschatz, der über die Zeitläufe hinweg tradiert wurde und aus dem ich mich reichlich b e dient habe: die Rolle, die ein von Flöhen wimmel n des Tuch als Überträger der Pest gespielt hat; der habgierige Totengräber, der einen Mann lebendig verscharrt hat; der kluge Hahn, der im Voraus wus s te, wann die Gefahr endgültig gebannt war.
    Für alles Übrige habe ich mich in medizinische Traktate, Tagebücher und Predigtsammlungen aus dem 17. Jahrhundert sowie in Texte zur Sozialg e schichte vergraben. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich je ein Buch wie die Geschichte des Ble i berghaus in den Penninen besitzen würde, das nun neben anderen Wälzern in meiner Bibliothek steht. Anys Gowdies »Beichte« lehnt sich an den Bericht eines schottischen Hexenprozesses an, der in der mi t reißenden Dokumentensammlung History Laid Bare von R i chard Zack über Sexualität zu finden ist. (Zwischen der Gowdie-Beichte und vielen ähnlichen, die man unter Folterqualen abgetrotzt hatte, gibt es einen U n terschied: Die Angeklagte behauptete höchst beredt, sie hätte den Geschlechtsverkehr mit dem Teufel in vollen Zügen genossen. Meistens wurde nämlich ruchbar, Satan sei ein lausiger Lie b haber gewesen.)
    Einige Dorfbewohner von Eyam habe ich zwar namentlich genannt, aber nur dann, wenn meine E r zählung nicht allzu sehr von bekannten Lebensdetails abweicht. Wenn etwas meiner Phantasie entsprungen ist, habe ich bewusst den Namen geändert oder einen gänzlich neuen verwendet. Zum Beispiel spiegeln sich in der Figur des Michael Mompellion nur die positiven Charakterzüge und Taten des echten Vikars von Eyam wider, jenes heldenhaften William Mo m pesson, der an einen Heiligen erinnert. Die dunkle Seite, die ich seinem fiktiven Abbild gegeben habe, ist reine Erfindung. William Mompesson und seine Frau Catherine hatten zwei Kinder, die er aus Eyam fortschaffen ließ, noch ehe die Quarantäne beschlo s sene Sache war. Catherine blieb aus freien Stücken, half den Kranken und starb selbst
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