Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch
Autoren: brooks
Vom Netzwerk:
mehr über jene Kunst zu lernen, zu der ich mich b e rufen fühlte. Ich zahlte die Amme aus und sorgte für ihre Rückfahrt. Vermutlich könnte ich in so einer großen Stadt eine neue finden.
    Mit Erzählungen von barbarischen Piraten und verbannten Spaniern versuchte der Kapitän des Schiffes, mir das Ausschiffen auszureden. Als er aber sah, dass mein Entschluss feststand, half er mir liebenswürdigerweise. Der Kapitän hatte von Ahmed Bey gehört, was nicht weiter verwunderlich war, denn seine Schriften und Reisen hatten ihn zum b e rühmtesten Arzt im Barbarenland gemacht. Ang e sichts meiner Umstände und Situation war eines a l lerdings wirklich erstaunlich, wenigstens für mich: wie schnell der Bey den Entschluss fasste, mich au f zunehmen. Erst später, als wir einander besser kan n ten, erzählte er mir, er sei gerade vom Mittagsgebet gekommen, in dem er Allah angerufen hatte, er möge sich eines müden alten Mannes erbarmen und ihm eine Hilfe senden. Anschließend h atte er die Fraue n gemächer betreten und mich dort beim Kaffeetrinken mit seinen Frauen vorgefunden.
    Heute bin ich eine seiner Frauen, wenn auch nicht körperlich, so doch dem Namen nach. Er meinte, das sei der einzige Weg, wie er mich in seinen Haushalt aufnehmen könnte. Damit würde ich hier akzeptiert werden. Da ich offensichtlich keine Jungfrau mehr war, benötigte der Mullah nicht die Einwilligung e i nes männlichen Vormunds. Somit war dem Ritus auf einfache Weise Genüge getan. Seither haben wir oft über den Glauben gesprochen: über jenen unerschü t terlich festen, der dem Doktor täglich jeden Auge n blick als Maßstab dient, und jenes dürftige zerfle d derte Etwas, das von meinem eigenen Glauben übrig blieb. Mich erinnert meiner an die ausgeblichenen und durchschossenen Fetzen eines Banners. Sollte es je ein Emblem getragen haben, so konnte nun keiner mehr sagen, was das gewesen war. Ich habe Ahmed Bey erklärt, ich könnte nicht behaupten, dass ich noch einen Glauben hätte. Hoffnung vielleicht schon. Wir sind übereingekommen, dass dies genügen muss.
    Meiner Ansicht nach ist der Bey der weiseste und liebenswürdigste Mensch, den ich je gekannt habe, ganz sicher aber der behutsamste und freundlichste. Überschwänglich lobte er meine Fähigkeiten, die ich zu ihm mitgebracht habe. In den vergangenen Jahren habe ich von ihm so viel gelernt, dass mir eines klar ist: Dies war nur die höflich verbrämte Art seines Volkes, sich auszudrücken. Ahmed Beys Medizin ist nicht darauf angewiesen, dem Körper mit schmer z haften Untersuchungen und glühenden Schröpfkö p fen zuzusetzen. Seine Methode dient der Kräftigung und Stärkung, wobei er gleichzeitig ununterbrochen den gesunden Körper und die Art der Krankheit st u diert. Wie sie sich ausbreitet, wen sie befällt und wie sie verläuft.
    Vermutlich hatte zur Zeit meiner Ankunft seine Verzweiflung ein gewisses Ausmaß erreicht. Muse l manische Frauen werden so strikt gehalten, dass sie beim Anblick eines fremden Mannes an ihrem Kra n kenlager vor Angst zittern. Seit vielen Jahren hatte ihn die Zahl jener Ehemänner zur Verzweiflung g e trieben, die lieber ihre Frauen sterben ließen, als ihn zu Hilfe zu rufen. Deshalb hätte er vermutlich jede normal intelligente Frau genommen, die bereit war, von ihm zu lernen. Ich habe sein Vertrauen dadurch vergolten, dass ich viele heil durch ihre Wehen g e bracht und ihnen gezeigt habe, wie sie ihre Gesun d heit und die ihrer Kinder erhalten können. Mit me i nen zukünftigen intensiven Studien hoffe ich, hier eine würdige Lebensarbeit zu erzielen. Inzwischen lese ich Avicenna oder Ibn Sina, wie es richtig he i ßen muss. Allerdings lese ich seine Schriften nicht, wie ich mir immer ausgemalt hatte, auf Lateinisch, sondern auf Arabisch.
    Lange hat es gedauert, bis sich meine Augen an die Helligkeit dieses Ortes gewöhnt hatten. Auf j e manden, der so lange in einer Nebelwelt gelebt hat, können die grellen Farben hier blendend wirken. Hier gibt es Farben, die ich niemandem zu beschre i ben wüsste, der sie nicht selbst gesehen hat. Wer vermag zu sagen, welche Farbe eine Orange hat, wenn er die Frucht an sich nicht gesehen hat? Und jene Früchte, Kaki genannt, die an den Zweigen u n terhalb meines Fensters hängen, stechen manchmal so leuchtend gegen den blauen Himmel ab, dass ich behaupten möchte, ihre Farbe erinnere an frisch g e schlagenes Kupfer, das im Sonnenschein aufflammt. Ein andermal erinnert ihre Schattierung eher an ein goldenes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher