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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch
Autoren: brooks
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öffnete, flirrten plötzlich Staubkörnchen im Sonnenstrahl auf. Das Pferd hielt, einen Huf erhoben, im Scharren inne und blinzelte ins ungewohnte Gleißen. Dann bäumte es sich auf seine muskulösen Hinterbeine und schlug durch die Luft, als wollte es so deutlich wie möglich sagen: »Da du nicht er bist, verschwinde von hier.« Obwohl ich nicht zu sagen wusste, wann es das letzte Mal einen Striegel gespürt ha t te, schimmerte sein Fell an der Stelle, wo das Licht auftraf, noch immer wie Bronze. Als Mister Mompellion auf diesem Pferd hier eingetroffen war, hatte es allgemein geheißen, ein so prachtvo l ler Hengst sei kein geeignetes Ross für einen Priester. Außerdem passte es den Leuten nicht, als sie hörten, dass Hochwürden ihn Anteros rief. Einer der alten Puritaner hatte ihnen nämlich e r klärt, dies sei der Name eines heidnischen Götzen. Als ich meinen ganzen Mut zusammennahm und M i ster Mompellion danach fragte, hatte er nur lachend gemeint, sogar die Puritaner sollten sich darauf b e sinnen, dass auch Heiden Kinder Gottes und ihre G e schichten ein Teil Seiner Schöpfung sind.
    Ich blieb stehen, presste meinen Rücken gegen die Stallwand und redete sachte auf den mächt i gen Hengst ein. »Ach, es tut mir so Leid, dass du den ganzen Tag hier drinnen eingepfercht bist. Ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht.« Lan g sam griff ich in meine Schurztasche und streckte ihm einen Apfel hin. Er drehte seinen massigen Schädel ein wenig herum, sodass ich das Weiße in einem seiner feuc h ten Augen sehen konnte. Ich sprach leise weiter, so wie ich es immer bei den Kindern gemacht hatte, wenn sie Angst oder sich wehgetan hatten. »Du magst doch Äpfel. Weiß ich doch. Na los, dann mach schon und hol ihn dir.« Wieder scharrte er am B o den, aber diesmal klang es bereits weniger überze u gend. Langsam reckte er mir seinen breiten Hals en t gegen und nahm mit geblähten Nüstern Witterung auf, vom Apfel und von mir. Handschuhweich und warm streifte se i ne Schnauze meine Hand, während er den Apfel mit einem Biss aufnahm. Als ich aus meiner T a sche den zweiten holen wollte, riss er den Kopf in die Höhe, dass der Apfelsaft nur so spritzte. Im Nu stieg er wieder hoch und drosch zornig in die Luft. Da wusste ich, dass mir der entscheidende Moment entglitten war. Ich ließ den zweiten Apfel auf den Stallboden fallen und trat schnell hinaus, wo ich an der geschlossenen Tür verschnaufte und mir einen Faden Pferdespeichel aus dem G e sicht wischte. Der Stallbursche musterte mich verstohlen und fuhr mit seiner Flickarbeit fort.
    Nun ja, dachte ich, es ist einfacher, dem armen Tier einen kleinen Gefallen zu tun als seinem Herrn und Meister.
    Als ich wieder im Haus war, konnte ich hören, dass sich der Herr Pfarrer von seinem Stuhl e r hoben hatte und hin und her ging. Die Böden des Pfarrha u ses sind alt und dünn. Das Knarzen der Dielen verriet mir jeden seiner Schritte. Hin und her ging das, hin und her. Wenn ich ihn doch nur dazu bringen könnte herunterzukommen und im Garten auf und ab zu g e hen. Aber als ich das einmal andeutete, sah er mich an, als hätte ich die Besteigung des White Peak vo r geschlagen. Als ich seinen Teller holen ging, lagen die Apfelschnitze immer noch völlig unberührt da. Sie wurden schon braun. Morgen werde ich mit der Arbeit an der Saf t presse beginnen. Auch wenn ich ihn zu keinem Bi s sen Essen bewegen kann, so wird er manchmal doch etwas trinken, ohne es recht zu merken. Außerdem wäre es unsinnig, einen Keller voller Obst verderben zu lassen. Denn eines kann ich ganz sicher nie mehr ertragen: den Geruch eines fa u lenden Apfels.
     
    Wenn ich mich am Ende des Tages vom Pfar r haus auf den Heimweg mache, gehe ich lieber durch den Obstgarten als die Straße entlang, wo ich Gefahr la u fe, Menschen zu begegnen. Nach allem, was wir g e meinsam überstanden haben, kann man nicht einfach mit einem höflichen »Guten Abend« aneinander v o rübergehen. Doch zu mehr fehlt mir die Kraft. Diese Erinnerungen an glückliche Tage sind nur flüchtig, gleichen Spiegelbildern in einem Fluss, die eine S e kunde lang, in Einzelteile zerbrochen, aufschimmern und a n schließend im Strom der Trauer, der nun unser Leben prägt, mitgerissen werden. Ich kann nicht b e haupten, dass ich je das empfinde, was ich d a mals empfunden habe, damals, als ich glücklich war. Aber manchmal rührt doch etwas an jenen Ort, wo dieses Gefühl gelebt hat, eine Berührung wie von Motte n flügeln, die uns im
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