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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch
Autoren: brooks
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Gaumenschmaus für Mister Mompellion ei n fällt. Wenn der Eimer für unsere geringen Bedürfni s se voll genug ist, führe ich sie zum Grasen ins Freie. Seit letztem Winter ist sie so fett gewo r den, dass ich inzwischen jeden Tag befürchte, sie könnte mitten im Türrahmen stecken bleiben.
    Mit dem Eimer in der Hand verlasse ich die Kate durch die Vordertüre. Morgens fühle ich mich eher zu einer Begegnung mit denen, die vie l leicht schon draußen sind, im Stande. Wir alle hier, an diesem steilen Abhang des mächtigen White Peak, leben in der Schräge. Beim Bergaufgehen beugen wir uns immer vor, und um den steilen Abstieg zu bremsen, graben wir die Absä t ze in den Boden. Manchmal überlege ich mir, wie’s wohl wäre, an einem Ort zu leben, wo das Land nicht so sehr ansteigt und die Menschen mit aufrechtem Gang die Blicke auf einen geraden Horizont richten können. Sogar die Haup t straße unserer Stadt hängt nach einer Seite, sodass die Leute auf der dem Berg zugewandten Seite höher stehen als die anderen bergab.
    Unser Dorf besteht aus einer losen Reihe von B e hausungen, die sich östlich und westlich der Kirche dahinschlängelt. Hie und da zerfranst sich die Haup t straße in ein paar schmalere Pfade, die zur Mühle führen, nach Bradford Hall, zu den größeren Höfen und einsameren K a ten. Schon immer haben wir hier mit dem gebaut, was zur Hand ist. Deshalb sind die Steine für u n sere Wände aus dem örtlichen Granit geschlagen und die Dächer mit Heidematten gedeckt. Hinter den Katen links und rechts von der Straße li e gen bebaute Felder und G e meindewiesen, die abrupt an einer plötzlichen Erhebung oder einem A b grund enden. Nördlich von uns ragt das Edge auf, dessen blankes Steingesicht das Ende des besiedelten La n des und den Beginn der Moore markiert, während sich zum Süden hin der Steilhang des Dale urplöt z lich im Nichts verliert.
    Ist schon merkwürdig, welchen Anblick unsere Hauptstraße heutzutage bietet. Früher habe ich im Sommer den Staub und im Winter den Schlamm verwünscht, wenn das Regenwasser in den Wage n spuren stehen blieb und sie in spiegelblanke Stolpe r fallen verwandelte. Jetzt hingegen gibt’s weder Eis noch Schlamm, noch Staub, denn nun wächst überall Gras auf der Straße. Nur in der Mitte, wo wenige F ü ße das Unkraut abgetr e ten haben, zieht sich ein schmaler Trampelpfad hin. Jahrhundertelang haben die Menschen dieses Dorfes die Natur aus ihrer näh e ren Umgebung verdrängt. Weniger als ein Jahr hat sie g e braucht, um erneut Anspruch auf ihr Revier zu erheben. Mitten auf der Straße liegt eine Wa l nuss, aus der bereits ein Schössling sprießt, der im Gr ö ßerwerden unseren Weg zur Gänze blockieren möc h te. Ich habe ihn vom ersten Keimblatt an beobachtet und mir dabei überlegt, wann ihn wohl einer ausre i ßen würde. Bisher hat’s noch niemand getan, und inzwischen hat er eine beachtliche Höhe. Fußabdr ü cke beweisen, dass wir alle um ihn herumgehen. Ist’s Gleichgültigkeit? Oder ergeht es anderen so wie mir? Haben wir so unendlich vieles enden sehen, dass sie es nicht übers Herz bringen, einen spillerigen Schös s ling auszureißen, der sich zögernd ans Leben kla m mert?
    Ohne einer Menschenseele zu begegnen, habe ich den Weg zum Pfarrhausgatter zurückgelegt. Deshalb war ich nicht darauf vorbereitet, jener Person geg e nüberzutreten, die ich am wenigsten auf der ganzen Welt zu sehen wünschte. Kaum war ich durchs Ga t ter und hatte mich umgedreht, um den Riegel wieder vorzuschieben, hörte ich hinter mir Seide rascheln. Ich fuhr herum und verschüttete dabei Milch aus meinem Eimer. El i zabeth Bradford warf mir einen bösen Blick zu, als ein Tröpfchen auf dem dunkelv i oletten Saum ihres Gewandes landete. »Tollpatsch!«, zischte sie. So traf ich sie fast im gleichen Zustand wieder wie beim letzten Augenblick vor über einem Jahr: mürrisch und verwöhnt. Leider lassen sich l e benslange Gewohnheiten nur schwer abschütteln. Unwillentlich versank ich in einen Knicks. O b wohl mein Kopf fest entschlossen war, dieser Frau keine solche Ehre zu erweisen, gehorchte mein Körper aus alter Gewohnheit.
    Sie fand nicht einmal einen Gruß der Mühe wert. Typisch. »Wo steckt Mompellion?«, wollte sie wi s sen. »Seit gut einer Viertelstunde klopfe ich nun schon an diese Türe. So früh kann er doch unmöglich außer Haus sein.«
    Ich zwang meine Stimme zu salbungsvoller Hö f lichkeit. »Miss Bradford«, sagte ich, ohne auf ihre Frage weiter
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