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Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Titel: Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
Autoren: Richard Dübell
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Kapitel 2.
    Der Heilige ist weg!«
    Ulrich fuhr aus seinem unruhigen Schlummer auf und sah sich mit schlechtem Gewissen nach allen Seiten um, noch bevor er begriff, was geschehen war. Er begegnete Bruder Fredegars Blick, der verschleiert war und bar aller Intelligenz, und konstatierte in diesen ersten wirren Augenblicken des Erwachens aus dem Schlaf während der Laudes, dass zumindest Fredegar ihm ein Bruder in der Sünde war … man konnte nur hoffen, dass die Klostergemeinschaft sich nicht am schlechten Beispiel des Torhüters und des Archivars orientierte, Vater vergib uns …
    Dann glomm Leben in Fredegars Augen auf, und er folgte dem Blick Ulrichs hin zur Menge der gemeinen Brüder, die vor dem Altar auf dem Boden lagen.
    Einer der Mönche lag nicht auf den Knien, sondern hüpfte geradezu gotteslästerlich auf und ab. Sein Finger zeigte nach vorn zum Altar. Sein Gesicht bestand aus drei runden Löchern: zwei kleinere die Augen, ein großes der Mund, aus dem ein immer schrilleres Heulen drang.
    »Der Heiiilige ist weeeg!«
    »ruhe!«, donnerte hinter dem Altar der Prior Remigius, dessen Predigt beim ersten Aufschrei mit einem hörbaren Knirschen zum Halten gekommen war. »Bruder Konrad, hör sofort auf!«
    »Aber … ehrwürdiger Vater!« Bruder Konrad suchte in heller Aufregung nach Worten. »Aber, o heiliger Albo …«
    Ulrich sah es wie eine Woge durch die aufgeschreckten Brüder gehen. Ein Kopf nach dem anderen hob sich und folgte dem Fingerzeig Bruder Konrads, und ein Gesicht nach dem anderen verwandelte sich in ein Abbild des seinen: riesige Augen und ein weit aufgerissener Mund.
    Prior Remigius starrte in das metallbeschlagene Kästchen, das auf einer Säule hinter dem Altar stand. In der Dunkelheit der kleinen Kirche, die nicht viel mehr war als eine Kapelle und in der nur so viele Unschlittlichter brannten, wie es brauchte, damit die Brüder auf dem unebenen Boden nicht stürzten, glomm matt der Zierrat. Das Innere des Schreins selbst war eine dunkle Höhle, in der man kaum Umrisse zu erkennen vermochte, und doch …
    Bruder Konrad hatte Recht.
    »Also gut«, sagte Remigius.
    Der Reliquienschrein war leer.
    »Licht«, sagte Remigius und griff sich eine der krumm gezogenen Kerzen vom Altar. Als er den Reliquienschrein damit beleuchtete, ging ein Aufstöhnen durch die Gemeinschaft der Brüder. Wie es schien, hatte der Schädel sich irgendwie aus seinem Behältnis befreit, ohne Deckel oder Schloss des Schreins zu beschädigen und ohne die übertrieben teure Glasscheibe – Bruder Ulrich hatte ihretwegen auf den Ankauf eines wunderschön gemalten Codex aus einem irischen Kloster verzichten müssen – an ihrer Vorderseite zu zerbrechen. Das Silbernetz, das die Reliquie umhüllt hatte, lag auf dem dunkelroten Samtkissen. Albos Schädel war gleichsam nackt entflohen.
    Remigius ließ die Kerze sinken und drehte sich langsam um.
    Ulrich suchte Fredegars Blick. Die Augen des alten Mönchs waren zusammengekniffen, doch starrte er nicht zu Remigius oder zum leeren Schrein hinüber, sondern zu den Brüdern in der Kapelle. Deren erstem Aufstöhnen folgte ein zweites; dann begann das Wispern: »Er ist verschwunden!« – »Er ist tatsächlich weg!«, und immer lauter: »Sankt Albo, beschütze uns!« – »Heiliger Albo, errette uns aus der Verdammnis!« – »Sankt Albo, hilf uns Sündern!« – »sankt albo, komm zurück!«
    Bruder Konrad stand inmitten der Aufregung wie Lots Weib. Emmeran und Peter, die beiden anderen beamteten Brüder auf der jenseitigen Seite des Altars, sahen vom leeren Reliquienschrein zu Prior Remigius und zurück zum Schrein. Emmeran blinzelte plötzlich wie jemand, dem ein Licht aufgeht, und legte langsam den Kopf in den Nacken, während sein Mund sich öffnete. Seine Augenbrauen, die eher wuchernden Gestrüppen glichen und über der Nasenwurzel in einem dichten Büschel zusammengewachsen waren, kräuselten sich verzückt, als er zum Gewölbe der Kapelle emporstarrte.
    »Sankt Albo, warum hast du uns verlassen?«
    Die jüngeren Mönche brachen in Tränen aus. Ulrich beobachtete fassungslos die Aufregung. Das war ja, als hätte man den Brüdern schlagartig den Boden unter den Füßen weggezogen, nur weil dieser potthässliche Schädel plötzlich …
    Ulrich spähte aus dem Augenwinkel in Fredegars knorriges Narbengesicht und sah, wie der alte Mönch die Lippen zusammenpresste. Seine Augen waren nur noch schmale Schlitze.
    »Schluss damit!«, brüllte der Prior und knallte die Kerze auf den
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