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Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Titel: Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
Autoren: Richard Dübell
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dem alten Prior Gregor als Junge bei der Messe geholfen hatte. Wenn man bedachte, dass damals gerade Kaiser Rotbart seinen Krieg gegen die italienischen Städte begonnen hatte und seitdem dreißig Sommer ins Land gegangen waren, konnte man das als rekordverdächtige Leistung im Sich-Drücken werten. Ulrich wandte sich ab; der leere Schrein schien ihn anklagend anzurufen. Remigius legte das Netz zurück und klappte mit lautem Knall den Deckel zu. Bis auf Fredegar fuhren alle zusammen.
    Fredegar betrachtete seinen Schlüssel und dann das kleine Schloss an der Oberseite des Schreins. »Zugeschlossen!«, knurrte er. »Er war zugeschlossen.«
    »Ein Wunder ist geschehen!«, flüsterte Peter, der Kellermeister.
    Fredegar hielt den Schlüssel in die Höhe.
    »Unsinn!«, schnappte er. »Schau dir diesen Schlüssel an. Ein einfacher Haken. Ein Weib hätte das Schloss mit einer Kleiderspange aufbringen können. Wir waren zu leichtgläubig.«
    »Was willst du damit sagen?«, fragte Ulrich.
    »Viel … vielleicht ist er in den Himmel aufgefahren«, stammelte der Kellermeister. »Vielleicht hat ein Engel des Herrn ihn aus seinem Schrein befreit?«
    Emmeran, der Sakristan, gab ein Geräusch von sich. »Ich habe von Ferne einen süßen Laut vernommen, der sich wie himmlische Chöre anhörte, und ein seltsames Licht schien dazu …«, begann er.
    Ulrich verdrehte die Augen und stellte sich ein wenig abseits.
    Prior Remigius schnaubte. »Fredegar will sagen, dass man uns den Schädel gestohlen hat«, sagte er. Seine Augen lagen tief in den Höhlen.
    »Hast du jemanden in Verdacht?« Fredegar, immer der Mann für das Nächstliegende.
    Remigius schüttelte so lange und heftig den Kopf, dass er wie ein Schläfer wirkte, der sich gewaltsam ins Wachsein rütteln will. »Was weiß ich …«
    »Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir einen Reliquienhändler unter unserem Dach beherbergt haben. In diesem Fall werden wir den Schädel niemals wiedersehen«, sagte Fredegar.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ein gewöhnlicher Dieb hätte das silberne Netz mitgehen lassen.«
    Remigius seufzte und zuckte mit den Schultern. Er schien sich für Fredegars Theorie zu erwärmen. »Die Liste der Interessenten fängt wahrscheinlich beim Erzbischof an … von unten gesehen. Seit Erzbischof Rainald seinerzeit die Heiligen Drei Könige nach Köln überführt hat, ist jeder seiner Nachfolger ganz wild auf einen ähnlich gelungenen ›Fund‹.«
    »Hast du schon von einem Mann namens Antonius gehört?«, fragte Fredegar und verzog verächtlich den Mund. »Es heißt, er würde lieber eine Todsünde begehen, als eine Reliquie zurückzulassen. Wenn er gerade in der Nähe ist und hinter Albo her war, ist das Rennen gelaufen, bevor es angefangen hat.«
    »Antonius?«, fragte Ulrich.
    Fredegar machte mit einer seiner großen Hände eine Bewegung in der Luft und ahmte eine Raubvogelkralle nach, die zuschnappt. »Er ist schon bei jedem hohen Herrn des Reichs bedienstet gewesen, wenn es darum ging, die Knochen eines Heiligen heimzuführen.« Dank Bruder Fredegars Betonung erkannte selbst Ulrich, dass im Zuge dieser Heimführungen wahrscheinlich auch so manche Seele eines Lebenden, der sich Antonius in den Weg gestellt hatte, heimgeführt worden war. Er schluckte trocken.
    Prior Remigius sagte leise: »Ihr habt gesehen, wie die Brüder reagiert haben. Der Schädel muss wieder her!«
    Ulrich warf einen Blick in den leeren Schrein und schlug die Augen sofort wieder nieder. Er spürte, wie sein Mut sank, und schalt sich dafür. Hatte er etwa gehofft, der Schädel sei endgültig verloren? Und dass Remigius sich in das scheinbar Unvermeidliche fügte? Was für ein Sakrileg! Vater, vergib mir armem Sünder … und lass das Ding nie wieder auftauchen. Ulrich begann im Stillen ein Paternoster zu beten, um auf andere Gedanken zu kommen.
    Fredegar deutete auf die versammelten Brüder. »Und wer soll ihn suchen? Draußen, in der sündigen Welt? Keiner von uns ist seit Jahren weiter von hier fort gewesen als in einer der Grangien unseres Klosters. Und du weißt so gut wie ich, dass wir nur wenige davon haben, und alle sind ganz in der Nähe. Das Leben da draußen folgt nicht den Regeln von Citeaux, schon gar nicht in der Stadt.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Dass wir diesen Regeln folgen sollten.«
    »Ich glaube, ich verstehe.«
    Fredegar zuckte mit den Schultern. »Fasse es nicht als Zurechtweisung auf, ehrwürdiger Vater, aber …« Er ließ den Rest des Satzes im Raum
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