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Das Orakel von Margyle

Das Orakel von Margyle

Titel: Das Orakel von Margyle
Autoren: Deborah Hale
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schreckten Flügelschlagen und beharrliches Kreischen sie auf. Rath blickte über die Schulter und sah einen großen, braunweißen Vogel auf dem geschnitzten Holzbottich sitzen, in den er und Maura letzte Nacht geblickt hatten.
    “Such dir deine eigene Gefährtin, alter Schreihals!”, rief er. “Mach, dass du fortkommst, und lass uns in Ruhe küssen.”
    Doch als er sich gerade wieder zu ihr beugen wollte, löste sie sich von ihm und ging zu dem Holzbottich. “Das ist ein Botenvogel. Er sieht genauso aus wie der, welcher Langbard die Nachricht brachte, dass es für mich an der Zeit sei, meine Suche zu beginnen.”
    “Welche Nachricht?” Er sah, wie sie sich mit langsamen, bedächtigen Schritten dem Vogel näherte, um ihn nicht zu erschrecken. “Woher?”
    “Von den Vestanischen Inseln”, sagte Langbard. Maura legte dem Vogel die Hand auf den Rücken. So konnte sie ihn beruhigen, aber auch festhalten, falls er versuchen sollte, fortzufliegen. “Er sagte, dort hätten Gelehrte die Schriften der Alten Wege studiert und seien zu der Meinung gelangt, dass die Zeit gekommen wäre.”
    Der Vogel schien an die Berührung durch Menschen gewöhnt zu sein, denn er machte keine Anstalten, fortzufliegen. Noch nicht einmal, als Maura ihm den Pergamentstreifen abnahm, der um sein Bein gewickelt war.
    In Rath rangen Neugier und Vorsicht miteinander. Die Neugier trug den Sieg davon, aber nur knapp. Er ging zu Maura und sah ihr über die Schulter. “Wie lautet die Botschaft?”
    Sie entrollte den schmalen Pergamentstreifen, und während sie die Worte entzifferte, trat ein besorgter Ausdruck auf ihr Gesicht. “Sie lautet: 'Kommt sofort.'“
    “Kommt?” Rath starrte auf das Papier, als wollte er den seltsamen Zeichen eine andere Bedeutung aufzwingen als die, die Maura ihnen entnommen hatte. “Wohin kommen? Und wie?”
    “Zu den Vestanischen Inseln, vermute ich. Da steht noch mehr. Es heißt: 'Captain Gull von Duskport wird euch bringen.'“
    “Duskport.” Rath dachte nach. “Da war ich einmal. Das ist ein Fischerort an der Küste. Eine unwirtliche Gegend.”
    Vielleicht zufrieden, dass er seinen Auftrag erfüllt hatte, ließ der Vogel wieder einen heiseren Schrei hören. Dann stieß er sich vom Bottichrand ab und stieg mit starken, schnellen Flügelschlägen himmelwärts. Rath und Maura sahen, wie er einmal die Lichtung überflog und dann Kurs auf die dem Sonnenaufgang entgegengesetzte Himmelsrichtung hielt.
    Maura blickte wieder auf die Botschaft. “Vermutlich beantwortet das unsere Frage, nicht wahr?”
    “Welche Frage?”, erwiderte Rath etwas barscher als gewollt.
    “Die Frage, was wir als Nächstes tun sollen.”
    “Ach die.” Die Frage, die er gerne so lange wie möglich aufgeschoben hätte. “Vermutlich. Steht da sonst noch etwas? Irgendetwas, das beweist, dass die Botschaft für dich und mich bestimmt ist?”
    Maura schüttelte den Kopf. “Wer sonst sollte denn damit gemeint sein?”
    “Woher soll ich das wissen?” Rath wünschte, der Pfeil eines Jägers hätte diesen verfluchten Vogel abgeschossen, bevor er sein Ziel erreichen konnte. “Ich bin schließlich keiner dieser feinen Gelehrten der Alten Wege – so frei und sorglos, wie ich in diesem sicheren Inselparadies lebe.”
    Die wenigen Geschichten, die er über die Vestanischen Inseln kannte, hatten nichts als Vorurteile in ihm geweckt. Wieso waren diese Gelehrten Umbria nicht zu Hilfe geeilt in all den langen, freudlosen Jahren, in denen das Land unter der hanischen Tyrannei litt?
    “Rath …”
    “Ärgert es dich nicht, dass sie uns einfach zu sich befehlen? Es für selbstverständlich halten, dass du es bis hierher geschafft hast, alles getan hast, was getan werden musste – gerade so, als wäre es ein Spaziergang gewesen und keine fast unmögliche Aufgabe, bei der du mehr als ein dutzend Mal hättest getötet werden können?”
    “Ich bin sicher, sie meinen es nicht so.” Maura sah ihn flehend an, mit einem Blick, der selbst das Herz eines Todesmagiers hätte rühren können, wenn solche Kreaturen ein Herz gehabt hätten.
    Oft genug hatte Rath sich selbst gewünscht, kein Herz zu besitzen. Dieses verfluchte Ding war eine Schwäche, die er sich nicht leisten konnte.
    “Ich weiß, es klingt wohl etwas … schroff.” Maura hielt ihm den Papierstreifen hin. “Aber auf ein Pergament, das so klein ist, dass man es einem Vogel ums Bein binden kann, kann man eben keinen langen, höflichen Brief schreiben.”
    Rath ließ widerwillig ein
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