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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge
Autoren: Phillip K. Dick
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suchen einen Autor‹: Er erweckt den Anschein, als ahne oder wisse er, daß er nur eine Person in einem Roman ist, der in einer Welt spielt, die es gar nicht gibt.
    Die Wirklichkeit vollends auf den Kopf stellt Dick mit dem Schlußkapitel: Hawthorne Abendsen gesteht ein, unter der Anleitung des Orakels über die wahre Welt geschrieben zu haben. Er bezeichnet diese ›Innere Wahrheit‹ – so das Hexagramm des Orakels – als schrecklich und vergleicht Juliana Frink mit einem Erdgeist, der ohne zu ermüden das tut, wozu sein Instinkt ihn treibt. Juliana verläßt daraufhin sein Haus und geht ›in die Lichtflecken, die aus dem Wohnzimmer fielen, und dann in die Schatten hinter dem Haus, auf den schwarzen Gehsteig‹: Sie bringt das Licht der Erkenntnis in die dunkle, ahnungslose Welt und auch in das Leben des Frank Frink, zu dem sie eventuell zurückzukehren beabsichtigt.
    Mag dieser offene Schluß auch eine Schwachstelle des Romans darstellen, so bildet er, im gesamten Überbau betrachtet, doch einen wirklichen Höhepunkt. Er erhellt die letztendliche Problematik des Romans, die weit über eine Warnung vor dem Faschismus oder ein bloßes Spiel mit den Charakteren und ihrer Wirklichkeit hinausgeht, sondern eher den Konflikt zweier Kulturen verdeutlicht. Auf der einen Seite stehen die Nazis, die in ihrer Hybris nicht nur Europa, nicht nur die Welt, sondern das gesamte Universum beherrschen wollen. Sie sind die technische Großmacht der Parallelwelt, greifen zum Mond, zum Mars, gehen dabei völlig rational und verstandesmäßig vor; sie haben das Mittelmeer trockengelegt und mit ihrem nur noch als abgrundtief pervers zu bezeichnenden Perfektionismus nicht nur die Juden, sondern innerhalb von fünfzehn Jahren nach dem Krieg auch noch die farbige afrikanische Urbevölkerung ausgelöscht. Der Leser erfährt nur vom Hörensagen über die Zustände in Europa und ihrem Machtbereich auf dem nordamerikanischen Kontinent; Dick hat seine Handlung auf den Pufferstaat und die von den Japanern besetzten PSA beschränkt (womit man ihm vielleicht den Vorwurf machen könnte, er hielte die japanische Ausprägung des Faschismus für ›erträglicher‹ als die deutsche).
    Auf der anderen Seite stehen eben diese Japaner, ein völlig anderer Kulturkreis mit einem völlig anderen Denken. Sie betrachten die Politik der Nazideutschen mit großer Skepsis, ja sogar offener Abscheu. Die Japaner gehen eher intuitiv statt verstandesmäßig vor, versuchen, die Wirklichkeit hinter den Dingen zu entschlüsseln und so bereits frühzeitig in ihre Entwicklung einzugreifen. Ausdruck findet diese taoistische Weltsicht nicht nur in den zahlreichen Reflektionen des Mr. Tagomi und der anderen, von diesem Denken geprägten Personen, sondern auch in der häufigen Benutzung des Orakels I Ging, das in diesem Roman eine Schlüsselstellung einnimmt.
    Das I Ging, das Buch der Wandlungen (in der vorliegenden Ausgabe wird die amerikanische Schreibweise I Ching verwendet), ist ursprünglich ein Orakelbuch mit den in 3000 Jahren gesammelten Spruchweisheiten Chinas auf dem Gebiet der Natur - und Staatswissenschaft, der Lebenskunde und des religiösen Denkens, und ist zugleich die gemeinsame Wurzel der Lehre des Kung-fu-tse (Konfuzius, 552 – 479 v. Chr.) wie auch das Laotse (604 – ca. 520 v. Chr. Begründer des Taoismus). Indem der Benutzer insgesamt sechsmal Schafgarben oder Münzen wirft, wird er auf eins von vierundsechzig Bildzeichen verwiesen, die sich weniger auf eine Aufzeichnung der Zukunft beziehen wie auf eine Einsicht in die aktuelle Entwicklung des Geschehens. Solange die Dinge noch im Entstehen begriffen sind, können sie geleitet werden; haben sie sich erst in ihren Folgen ausgewachsen, so werden sie übermächtig, und der Mensch steht ihnen hilflos gegenüber. Die vierundsechzig Hexagramme des Orakels bestehen aus Kombinationen von sechs Yin - und Yang-Linien, denen jeweils ein kosmisches Muster zugeordnet wird (der Taoismus geht davon aus, daß die kosmischen Entwicklungen nicht zufällig und chaotisch, sondern nach eben diesen Mustern bzw. Zyklen verlaufen). Ein sogenanntes Urteil rät, wie man sich in dem jeweiligen kosmischen Muster verhalten sollte; ein weiteres ›Bild‹ erklärt die Bedeutung des Hexagramms, und ein dritter Text interpretiert jede einzelne seiner sechs Zeilen. In Dicks Welt von Das Orakel vom Berge ist die Harmonie der kosmischen Entwicklung durch den fanatischen Vormarsch des Nazifaschismus zutiefst gestört worden; der
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