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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge
Autoren: Phillip K. Dick
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zuzusehen. »Nur zu«, sagte er und reichte ihr drei chinesische Bronzemünzen mit Löchern. »Ich nehme gewöhnlich die.«
    Sie begann, die Münzen zu werfen. Sie war ganz ruhig. Hawthorne schrieb die Zeilen für sie nieder. Als sie die Münzen sechsmal geworfen hatte, blickte sie hinunter und sagte: »Sonne oben. Tui unten. In der Mitte leer.«
    »Wissen Sie, was für ein Hexagramm das ist?« fragte sie. »Ohne nachzusehen?«
    »Ja«, sagte Hawthorne.
    »Chung Pu«, erklärte Juliana. »Innere Wahrheit; ich weiß das auch, ohne nachzusehen. Und ich weiß auch, was das bedeutet.«
    Hawthorne hob den Kopf und sah sie prüfend an. Sein Ausdruck wirkte jetzt beinahe wild. »Das bedeutet doch, daß mein Buch wahr ist, oder?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Deutschland und Japan haben den Krieg verloren?« sagte er verärgert.
    »Ja.«
    Jetzt klappte Hawthorne die beiden Bände zu und richtete sich auf. Er sagte kein Wort.
    »Selbst Sie sehen den Tatsachen nicht ins Auge«, sagte Juliana.
    Er überlegte eine Weile. Sein Blick war leer geworden, erkannte Juliana. Nach innen gewandt, das spürte sie. Mit sich selbst beschäftigt… und dann wurden seine Augen wieder klar. Er knurrte, zuckte zusammen.
    »Jetzt weiß ich überhaupt nichts mehr«, sagte er.
    »Sie müssen glauben«, sagte Juliana.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Können Sie das nicht?« sagte sie. »Ganz bestimmt nicht?«
    Und Hawthorne Abendsen sagte: »Wollen Sie ein Autogramm von mir?«
    Jetzt stand auch sie auf. »Ich glaube, ich gehe jetzt«, sagte sie. »Vielen Dank. Tut mir leid, daß ich Sie gestört habe. Es war wirklich nett, daß Sie mich hereingelassen haben.« Sie ging an ihm und Caroline vorbei, durch die Leute, die sie umringten, aus dem Wohnzimmer, hinaus ins Schlafzimmer, wo ihre Handtasche und ihr Mantel lagen.
    Als sie den Mantel umlegte, tauchte Hawthorne hinter ihr auf. »Wissen Sie, was Sie sind?«
    Er wandte sich zu Caroline, die neben ihm stand. »Dieses Mädchen ist ein Dämon. Ein kleiner Erdgeist, der, der…«, er hob die Hand und rieb sich über die Brauen, wobei sich seine Brille etwas verschob. »Ein Erdgeist, der ohne zu ermüden über das Antlitz der Erde streift.« Er schob sich die Brille wieder zurecht. »Sie tut das, was ihr Instinkt sie zu tun treibt, und drückt sich damit aus. Sie wollte hier nicht auftauchen und Schaden anrichten; es widerfuhr ihr einfach, ebenso wie uns Wetter widerfährt. Ich bin froh, daß sie kam. Es tut mir nicht leid, das zu erfahren, diese Entdeckung zu machen. Sie wußte nicht, was sie hier tun würde oder erfahren würde. Ich glaube, wir haben alle Glück. Wir wollen also nicht ärgerlich darüber sein; okay?«
    Caroline meinte: »Sie ist schrecklich. Sie hat alles zerrissen.«
    »Das ist die Wirklichkeit auch«, sagte Hawthorne. Er hielt Juliana die Hand hin. »Ich danke Ihnen für das, was Sie in Denver getan haben«, sagte er.
    Sie schüttelte ihm die Hand. »Gute Nacht«, sagte sie. »Tun Sie, was Ihre Frau sagt. Tragen Sie wenigstens eine Handwaffe.«
    »Nein«, erklärte er. »Das habe ich vor langer Zeit entschieden. Ich werde mich nicht davon stören lassen. Ich kann mich gelegentlich auf das Orakel stützen, wenn ich unruhig werde, insbesondere spät nachts. In einer solchen Lage ist das nicht schlimm.« Er lächelte schwach. »Das einzige, was mich wirklich stört, ist, daß alle diese Nassauer hier herumstehen und zuhören und alles mitkriegen und unterdessen den ganzen Schnaps im Hause saufen.« Er wandte sich um und schlenderte davon, um sich frisches Eis ins Glas zu tun.
    »Was werden Sie jetzt tun? Jetzt, da Sie hier fertig sind?« fragte Caroline.
    »Ich weiß nicht.« Das Problem störte sie nicht. Ich muß ein klein wenig wie er sein; von bestimmten Dingen lasse ich mich nicht stören, gleichgültig, wie wichtig sie sind. »Vielleicht gehe ich zu meinem Mann, zu Frank, zurück. Ich hab heute schon versucht, ihn anzurufen. Vielleicht versuche ich es noch einmal. Ich werde ja sehen, wie mir später zumute ist.«
    »Trotzdem, was Sie für uns getan haben…«
    »Sie wünschten wohl, ich hätte dieses Haus nie betreten«, sagte Juliana.
    »Wenn Sie Hawthornes Leben gerettet haben, ist das schrecklich von mir. Aber ich bin so aufgeregt; ich kann das nicht einfach so hinnehmen, das, was Sie gesagt haben, und das, was Hawthorne gesagt hat.«
    »Wie eigenartig«, meinte Juliana. »Ich hätte nie gedacht, daß die Wahrheit Sie ärgerlich machen würde.« Die Wahrheit, dachte sie. Etwas ebenso
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