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Das Orakel des Todes

Das Orakel des Todes

Titel: Das Orakel des Todes
Autoren: John Maddox Roberts
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unheimliches Werk, denn er war mit einem immensen Aufwand an Zeit und Arbeit gebaut worden, und das einzig und allein zu okkulten Zwecken. Meine Stimmung schien die anderen anzustecken. Bis auf ein gelegentliches Schaudern oder Keuchen waren auf einmal alle sehr still. Ich weiß nicht, ob es an dem mit Hanf durchsetzten Rauch lag, an dem merkwürdigen Gebräu oder an der einlullenden Monotonie der priesterlichen Sprechgesänge, aber wir sahen und hörten plötzlich irgendwelche Dinge (ich fragte anschließend jeden Einzelnen und erhielt die Bestätigung, dass wir alle das Gleiche erlebt hatten). Farbige Lichtstrahlen zuckten zwischen uns hin und her, und wir hörten auf einmal flüsternde Stimmen. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber sie hatten diese magische Wirkung zufällig aufgeschnappter, aber nicht wirklich verständlicher Unterhaltungen, von denen man sich wünscht, die Belauschten würden ein bisschen lauter sprechen, damit man sie besser versteht.
    Die Frauen hatten entsetzliche Angst, sogar Julia. Wir Männer bewahrten unsere unerschütterliche römische Fassade stoischer Ungerührtheit, um zu verbergen, wie aufgewühlt wir in Wahrheit waren. Aber um es ganz klar zu sagen: Wir hatten alle Angst. Den Gefahren kriegerischer Schlachten und politischer Kämpfe, all den Schrecken der bekannten natürlichen Welt kann man mit physischer Kraft, Tapferkeit und Einfallsreichtum begegnen, doch was soll ein sterblicher Mann im Angesicht des Übernatürlichen ausrichten?
    Natürlich glaubte ich nicht wirklich, dass diese Leute uns in die Unterwelt führen und mit den Toten kommunizieren konnten, aber in der passenden Umgebung sind derartige Gefühle des Grauens nur allzu leicht zu erzeugen, und der Tunnel bot dafür eine geradezu perfekte Kulisse. Gleich den flackernden Lampen blitzten in meinem Kopf Gedanken auf, Gedanken an geschickt manipulierte Spiegel und verborgene Löcher, die die Stimmen flüsternder Komplizen zu uns trugen. Im Museion von Alexandria hatte ich etliche Wunder gesehen; allesamt waren sie ganz offen von Philosophen bewerkstelligt worden, die keinerlei Rückgriff auf irgendwelche übernatürlichen Kräfte genommen hatten, allerdings hatte ich diese Wunder dort nicht inmitten einer so düsteren Umgebung bestaunt.
    Der Tunnel führte immer weiter hinab. Vielleicht hatte die Wirkung des Rauchs und des Getränks unseren Zeitsinn und unser Gefühl für Entfernungen verwirrt. Manchmal schienen die Flammen der Fackeln ganz weit vor uns zu sein, und jedes gesprochene Wort und die Sprechgesänge schienen endlos widerzuhallen. Wie immer, wenn ich mich unter die Erde begab, hatte ich das Gefühl, dass das Erdreich und die Steine über mir mich hinabdrückten, und ich musste meinen Atem zügeln, um nicht in Panik auszubrechen, was sich für einen Praetor ganz und gar nicht geziemte.
    Als ich gerade dachte, dass die Tortur schier unerträglich sei, wurde die Luft auf einmal feucht und roch leicht nach schwefelhaltigem Wasser. Der Tunnel wurde etwas breiter und teilte sich, eine Abzweigung führte weiter nach unten, eine nach oben. Wir kamen in einen Raum, der für ein richtiges Heiligtum unangemessen klein war, aber nach der erstickenden Enge des Tunnels war es beinahe, als träte man hinaus an die frische Luft, auch wenn es nach wie vor düster war und die Luft erfüllt von Rauch und Dunst.
    In der Mitte des Raums stand ein Altar, der mit trockenem Laub geschmückt war und auf dem sich unzählige Knochen türmten. Um den Altar herum lagen auf dem Boden weitere Knochen verstreut. Einige stammten eindeutig von Menschen, unter anderem auch von Kindern. Julia und Circe wandten sich entsetzt ab, nur Antonia starrte die grausige Ansammlung fasziniert an. Sie war genauso verrückt wie der Rest ihrer Familie.
    „Hier ehren wir die Schatten der Toten“, verkündete Iola. „Und natürlich ihre Königin, Hekate.“ Bei diesen Worten ging einer der Priester in den hinteren Bereich des Raums und stieß seine Fackel in eine Schale, die Zweige und trockenes Gestrüpp enthielt. Die Flammen schlugen hoch und offenbarten ein Bildnis der Göttin, das direkt in die dahinter liegende Wand gemeißelt war. Obwohl es sich nur um eine archaische Meißelarbeit handelte, holten die Frauen hörbar Luft. Die Darstellung zeigte die Göttin mit ihren angeleinten Hunden und drei verschiedenen Gesichtern, auf der einen Seite das einer jungen Frau, auf der anderen Seite das eines alten Weibes und in der Mitte das einer reifen
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