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Das Orakel des Todes

Das Orakel des Todes

Titel: Das Orakel des Todes
Autoren: John Maddox Roberts
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Kriegshafen eine Flotte Galeeren in See und bewegte sich übers Wasser wie eine Schar Meeres-Tausendfüßler, was die malerische Szenerie noch unterstrich. Es sah aus wie ein lebendig gewordenes Fresko.
    Während wir unseren luxuriösen Transportmitteln entstiegen, stießen die Frauen die üblichen Laute des Entzückens aus. Ich sah mich um und betrachtete den Tempel. Selbst für das südliche Campania, wo jede Menge obskure Götter verehrt werden, war es ein recht eigentümlicher Tempel. Er war erst vor kurzem im Sinne des traditionellen griechischen Geschmacks renoviert worden, und zwar im dorischen Stil, der die meisten griechischen Tempel Italias auszeichnete. Doch ich erkannte, dass er deutlich älter war und auf einem Grundriss beruhte, den ich bisher nur bei einigen sehr alten Ruinen gesehen hatte, von denen die meisten sich auf dem einstigen Territorium der Marser befanden.
    Noch eigenartiger als der Tempel waren die Priester, die uns erwarteten. Oben auf der Treppe standen sechs Männer in weißen Gewändern. Sie trugen Lorbeerkränze und waren auf den ersten Blick als traditionsbewusste Verehrer des Apollo zu erkennen. Doch am Fuß der Treppe standen sechs weitere Priester. Drei Männer und drei Frauen in schwarzen Gewändern. Sie hatten sich mit Kränzen aus Moorlilien geschmückt, einer Pflanze, die vor allem bei Begräbnissen Verwendung findet; die Priesterinnen hielten schwarze Hunde an kurzen Leinen.
    „Gibt es hier einen oder zwei Tempel?“, fragte ich an Plotius gewandt.
    „Zwei“, erwiderte er. „Der obere Tempel ist Apollo geweiht, wie du unschwer erkennen kannst. Die Höhle, in der sich das Orakel der Toten befindet, liegt direkt darunter.“
    „Die Priester am Fuß der Treppe sehen aus wie Priester der Hekate“, stellte Circe fest. „Die Moorlilie ist ihre heilige Pflanze.“
    „Und die schwarzen Hunde sind ihre heiligen Tiere“, fügte Antonia hinzu. Wie die meisten Römerinnen der gehobenen Kreise wussten sie viel zu viel über fremde Kulte, vor allem über die eher anrüchigen. Ursprünglich ist Hekate eine thrakische Göttin, allerdings erfreute sie sich im südlichen Italia schon immer einer großen Verehrung.
    „Wie passend“, warf Julia ein.“ „Sowohl Odysseus als auch Aeneas riefen Hekate an, bevor sie die Unterwelt betraten.“ Sie wandte sich mir zu. „Und Aeneas war immerhin ein Vorfahre meiner Familie.“ Julia verblüffte mich immer wieder.
    Plotius stellte uns einander vor. Der hohe Apollopriester hieß Eugaeon, die Namen der anderen habe ich vergessen. Sie zogen die übliche Begrüßungszeremonie endlos in die Länge und hießen mich überschwänglich willkommen, da ich ein römischer Praetor war. Die ganze Zeit über ignorierten sie ihre Priesterkollegen in den schwarzen Gewändern völlig. Es war, als ob sie gar nicht da wären. Bereit, mich auf jeglichen lokalen Brauch einzulassen, verkniff ich mir jede Nachfrage zu diesem seltsamen Verhalten.
    Schließlich zeigten sie uns den Tempel. Wie erwartet offenbarte das Innere ein viel höheres Alter, als das Äußere mit der weißen Marmorverkleidung und den neuen dorischen Säulen vermuten ließ. Trotz des weißen Anstrichs, der offenbar ältere Malereien und Meißelarbeiten übertünchte, war es in dem Tempel sehr dunkel. Die Apollostatue war recht ansehnlich, wirkte aber in dieser düsteren Umgebung irgendwie deplatziert. Es war eine jener seltenen Darstellungen, die den Gott als Schützen zeigte, mit einem Bogen in der Hand und einem Köcher voller Pfeile an seinem Oberschenkel. Es war ein Bildnis des Apollo als Rächer. Mit Sicherheit hatte auf der Plinthe früher einmal eines dieser alten Terrakotta - Bildnisse gestanden oder vielleicht auch eines aus Holz. Bevor die Griechen mit ihren anmutigen Gottheiten gekommen waren, hatten die Bewohner dieser Gegend jahrhundertelang primitive italische Götter verehrt.
    Wir verließen den Tempel wieder und wurden an die andere Priestergruppe weitergereicht, um uns dem eigentlichen Anlass unseres Besuchs zuzuwenden. Sie standen immer noch genauso da wie bei unserer Ankunft. Zu meiner Überraschung richtete als Erste eine der Frauen das Wort an uns.
    „Ist der Praetor auf der Suche nach Weisheit?“, fragte sie merkwürdigerweise.
    „Damit bin ich eigentlich schon ganz gut ausgestattet“, erwiderte ich. Julia verpasste mir mit dem Ellbogen einen Stoß in die Rippen. „Aber Weisheit kann man bekanntlich nie genug haben.“
    „Praetor“, meldete sich Plotius zu Wort,
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