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Das Orakel des Todes

Das Orakel des Todes

Titel: Das Orakel des Todes
Autoren: John Maddox Roberts
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„darf ich vorstellen: Iola, die hohe Priesterin des Orakels.“
    „Das Orakel ist die Quelle allen Wissens“, sagte Iola mit jener überheblich anmaßenden Selbstgewissheit, die allen religiösen Scharlatanen zu eigen ist.
    „Das nehmen andere auch für sich in Anspruch“, wandte ich ein. „Die Sibyllinischen Bücher, alle möglichen Propheten ... „ Ein weiterer Rippenstoß von Julia.
    „Alles Betrug“, wiegelte Iola ab. „Wie das?“, hakte ich nach.
    „Sie behaupten, im Namen irgendwelcher Götter zu sprechen. Unser Orakel steht mit den Toten in Verbindung. Hast du je einen Gott persönlich kennen gelernt?“
    „Nein, sie sind mir bisher nur in meinen Träumen erschienen“, räumte ich ein.
    „Aber ich wette, dass du jede Menge Menschen kanntest, die jetzt tot sind.“
    „Hm, von der Seite habe ich die Sache noch nie betrachtet“, entgegnete ich, wie immer etwas verwirrt, wenn irgendein Schwachkopf mir mit nachvollziehbarer Logik kam.
    Sie nickte. „Siehst du. Komm mit! „ Sie drehte sich um und führte uns in Begleitung der anderen Priester und der Hunde um den Tempel herum zu dessen Rückseite.
    „Warum ist der Eingang auf der Rückseite des Tempels?“, wollte ich wissen.
    „Weil er so dem Sonnenaufgang zugewandt ist“, erklärte die Priesterin. „Am Tag der Sommersonnenwende fällt das Sonnenlicht beim Aufgang genau in die Türöffnung und scheint hinab in den Tunnel.“
    „Das muss ein beeindruckendes Schauspiel sein“, sagte ich. Die römische Religion misst den Sonnenwenden und den Äquinoktien keine allzu große Bedeutung bei. Vielleicht hat es damit zu tun, dass diese Tage vor Caesars Kalenderreform so schwer zu bestimmen waren.
    Hinter dem Tempel fiel das Gelände etwas ab, so dass der Eingang zur Höhle sich in der Mitte eines kleinen Abhangs befand. Drum herum war alles mit Pflanzen überwuchert, die man normalerweise mit Tod, Beerdigung und Gräbern in Verbindung bringt: Moorlilien, Schierling, Myrrhe, Hartriegel und Zedern und andere, ähnliche Assoziationen hervorrufende Pflanzen.

    „Dieser Ort muss von einem ziemlich trübsinnigen Gärtner bepflanzt worden sein“, sagte ich.
    „Hier hat niemand irgendetwas angepflanzt, Praetor“, stellte Iola klar. „Alles ist, wie es immer war. Das Wachstum hier gehorcht den Göttern, denen wir dienen.“
    „Sei nicht so skeptisch, Liebster“, wies mich meine allzeit hilfreiche Frau zurecht.
    Der Eingang war kleiner, als ich erwartet hatte, eine hohe, schmale Öffnung, die mit Steinen verkleidet war, welche in der gleichen antiquierten Weise bearbeitet und mit ähnlichen uralten Figuren und Mustern verziert waren, wie ich sie oben übertüncht in dem Tempel gesehen hatte. Die Steine waren stark verwittert und befleckt und zeigten keinerlei Inschrift in irgendeiner Sprache. Sie sahen älter aus als der Lapis Niger, und ich vermutete, dass sie aus einer Zeit stammten, als in Italia noch keine Schrift existierte. Zum ersten Mal zog ich ernsthaft in Erwägung, dass dieses Heiligtum womöglich tatsächlich auf die Ureinwohner zurückging. Unmittelbar vor dem Eingang stand anstelle des üblichen Opferaltars ein großer Steintisch voller kultischer Objekte: Moorlilienkränze, kleine Thyrsi aus Hartriegelzweigen, Amulette mit der Darstellung eines dreigesichtigen Frauenkopfes, Mützen aus Hundefell und so weiter. Am Rand stand ein Tablett mit Bechern und einem Krug, alles aus Holz geschnitzt und vom Alter dunkel verfärbt.
    „Zuerst müsst ihr gereinigt werden und euch zu eurem Schutz den apotropäischen Riten unterziehen“, sagte Iola. Die Prozedur umfasste endlose Sprechgesänge, eine Ausräucherung mit Weihrauch, das Bespritzen mit Wasser aus einer heiligen Quelle, anschließend weitere Sprechgesänge und als Höhepunkt die Opferung eines schwarzen Hundes. Iola brach von einer der Zedern einen Zweig ab, tauchte ihn in das Hundeblut und beschmierte mit dem Blut unsere Stirnen, Hände und Füße.
    Die Prozedur war sehr konventionell. Ich hatte mir das Ganze eigentlich etwas exotischer erhofft.
    Iola nahm den Krug und füllte die Becher. Wie nahezu alles in der näheren Umgebung des Heiligtums war die Flüssigkeit schwarz. Ich wusste sofort, dass sie von uns erwartete, das Zeug zu trinken. Und ich hatte Recht. Sie reichte jedem einen Becher und sah uns auffordernd an. Julia und die anderen Frauen kippten das Gebräu todesmutig hinunter, als ob sie noch nie von Sokrates gehört hätten. Ich hingegen musterte meinen Becher argwöhnisch,
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