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Das Nest der Nadelschlange

Das Nest der Nadelschlange

Titel: Das Nest der Nadelschlange
Autoren: Hubert Haensel
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aneinander lehnten .
    Der Schmied hastete weiter, bis ein dunkles Bündel ihn einhalten ließ. Es war ein Mensch, der zusammengekrümmt auf dem Pflaster lag. Armos beugte sich über den Mann und drehte ihn zur Seite. Gebrochene Augen starrten ihn an. »Möge Lavoux dir gnädig sein und deine Seele in das Reich des immerwährenden Lichtes führen«, murmelte Armos bedrückt. Er kannte den Mann; sah ihn in diesem Augenblick wieder vor sich, wie er ihm seine dürren Arme hilfesuchend entgegenstreckte und um Mitleid bat. Am Morgen noch war er ihm auf seiner Flucht durch das Viertel der Bettler und Ausgestoßenen begegnet.
    Ein Dolch ragte aus der Brust des Toten, und seine Hand schien sich daran festzuklammern: Er hatte sich selbst entleibt.
    Von irgendwoher erklangen lautes Schreien und das Klirren aufeinanderschlagender Waffen. Erst jetzt wurde Armos sich bewusst, dass er nichts hatte, womit er sich verteidigen konnte. Sein Blick blieb an dem Dolch hängen. Dann griff er kurz entschlossen zu, löste die steifen Finger von dem kunstvoll gearbeiteten Griffstück und zog die Klinge aus der Wunde. Dabei konnte er sich eines gewissen Schauders nicht erwehren.
    War da nicht etwas? Eine flüchtige Bewegung, ein Zucken der Augäpfel? Öffnete sich der zahnlose Mund zu einem stummen Klagen?
    Frerick Armos raffte sich auf und rannte davon, überzeugt, dem Bösen nur mit knapper Not entronnen zu sein. Er blieb erst wieder stehen, als stechende Schmerzen in seiner Brust ihn dazu zwangen.
    Noch immer hielt er den Dolch mit der blutverkrusteten Schneide in der Hand. Mit Schnee wollte er ihn säubern, doch das Blut ließ sich nicht abwischen. Es widerstand sogar seinen Bemühungen, als er mit einem Stein darüber kratzte .
    Allmählich offenbarte sich die Macht der Dämonen. Also waren die Gerüchte wahr, die besagten, dass die Caer nach Ugalos griffen. Welch unvorstellbares Unheil mochte erst hereinbrechen, wenn die kriegerischen Horden über die Brücken einritten?
    Nur ein Narr verweilte noch länger in den Mauern, die dem Verderben preisgegeben waren. Frerick Armos mochte alles sein, Raufbold, Säufer und Weiberheld, Geliebter mancher schönen Wirtstochter, aber als Narren konnte ihn wahrlich niemand bezeichnen.
    Er lenkte seine Schritte in Richtung auf das östliche Ufer der Lorana. Die Straßen wurden belebter, je weiter er kam. Bürger, die ihre ganze Habe in riesigen Bündeln mit sich schleppten, begegneten ihm. Verzweiflung trieb sie vorwärts und die Hoffnung, irgendwo in den Weiten Dandamars, der Wildländer oder im fernen Süden eine neue Bleibe zu finden, wo das Grauen sie verschonte. Viele von ihnen trugen bereits die Male des gelben Fiebers. Aber alle eilten sie, Ugalos zu verlassen. Gesunde und Kranke, solche die ihr Schicksal mit dem Gleichmut der Erkenntnis ertrugen, den Mächten des Bösen ohnehin nicht gewachsen zu sein, und jene, deren schrilles Wehklagen durch die Gassen hallte.
    Die Menge riss Armos mit sich. Er ließ sich treiben, wusste er doch, dass sie nur ein Ziel hatten: In den Weinbergen jenseits des Flusses würden sie erste Erleichterung finden, dort, wohin die giftigen Nebel sicher noch nicht reichten und wo die Pavillons und Jagdhäuser der Edelleute Quartier boten.
    Die Schreie Verletzter schreckten den Schmied aus seinen Gedanken auf. Er hatte sein Ziel erreicht. Vor ihm spannte sich eine Brücke über die Fluten der Lorana, die sich jetzt nur träge dahinwälzten. Schaum bedeckte das Wasser, türmte sich auf und leckte nach dem Ufer und den hölzernen Pfeilern.
    Obwohl der Schein der untergehenden Sonne noch ausreichende Helligkeit spendete, konnte Armos das jenseitige Ufer des Flusses nicht erkennen. Nebelschwaden, so dicht, wie er sie bisher nicht gesehen hatte, nahmen ihm die Sicht.
    Die Menge drängte sich vor der Brücke, aber niemand konnte seinen Fuß auf die glitschigen, von Schleim überzogenen Bohlen setzen. Die Brückenwachen, zwei Dutzend an der Zahl und in voller Rüstung, schienen Befehl zu haben, keinen aus der Stadt hinauszulassen. Ihre Schwerter und Spieße redeten eine deutliche Sprache und führten ihr blutiges Handwerk aus, wo mancher Verzweifelte nicht weichen wollte.
    Ellbogen und Fäuste gebrauchend, schob Armos sich dennoch nach vorne. Nicht jeder machte ihm sofort Platz, aber wo er auf Gesunde stieß, wichen diese von selbst mit allen Anzeichen des Abscheus vor ihm zurück. Hatte er sich bisher noch eingeredet, bis auf seine Hände und einige übel juckende Beulen im
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