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Das Nest der Nadelschlange

Das Nest der Nadelschlange

Titel: Das Nest der Nadelschlange
Autoren: Hubert Haensel
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überwiegend Kampfgetümmel zeigten. Als Mythor die dargestellten Szenen näher betrachtete, stellte er fest, dass die Bilder aus unzähligen winzigen Steinchen zusammengefügt waren, angefangen von weißem Marmor über blauen Feuerstein bis hin zu schwarzem Basalt.
    »Komm!« lockte die Stimme.
    Mythor ging nach rechts. Und wirklich, schon nach wenig mehr als zwei Dutzend Schritten stieß er auf eine Tür. Sie war nur halb geschlossen, also musste der Junge vor ihm ebenfalls diesen Weg gewählt haben.
    Der Boden war glatt und ließ keine Fußspuren erkennen. Nirgendwo lag Staub. Der Krieger gelangte in einen kleinen, stickigen Raum, den wohl nie das Licht der Sonne erhellte. Er tastete sich an der Wand entlang, bis er eine zweite Tür fand, die er aufstieß. Laut quietschend floh ein kleines Tier vor ihm.
    Er kam in eine domartige Halle. Helligkeit fiel aus etlichen Öffnungen in der Decke, und ein Altar an der Stirnseite ließ darauf schließen, dass hier vormals religiöse Versammlungen stattgefunden hatten. Wenn die verschiedenen in Stein gehauenen Tierfiguren - ein Löwe mit Flügeln, ein echsenähnliches Geschöpf mit zwei Köpfen und fünf Beinpaaren und eine zusammengerollte, mindestens zwei Ellen starke Schlange - Götter darstellten, so kannte Mythor sie nicht.
    Hinter dem Altar befand sich ein weit geöffnetes Portal. Die Teile, die einmal aus Holz gefertigt wurden, waren längst zerfallen und vermodert. Nur noch ein metallenes Gerippe war übrig.
    Dahinter lag ein langer, ebenfalls erleuchteter Gang. Nach allem, was der Recke bis jetzt gesehen hatte, erstreckte sich der ehemalige Tempel über eine Grundfläche von mehr als vier- bis fünfhundert Mannslängen. Ein beachtliches Bauwerk. Ob es aber in allen Teilen noch so gut erhalten war, wagte Mythor zu bezweifeln.
    Als er den Gang betrat, glaubte er eine sanfte Berührung zu spüren. Nicht körperlich, vielmehr schien es ihm, als streife etwas seine Seele. Ein Gefühl des Glücks erfasste ihn. So nahe wie nie zuvor war er der Erfüllung seiner Träume. Seine Rechte tastete nach dem Pergament, das er auf der Haut trug. An einem halben Dutzend Räumen mit hohen Deckengewölben eilte er vorbei, bevor er unter einem reich verzierten Torbogen hindurch ein prunkvoll ausgestattetes Gemach betrat.
    Zum zweitenmal seit dem Schrei des Bitterwolfs glaubte Mythor, in eine andere Welt zu kommen. Sofort wusste er, dass zwischen diesen Wänden jemand lebte. Ein Hauch von Unvergänglichkeit lag in der Luft und ein Duft, verführerischer als das beste aller Rosenwasser.
    Ein wenig kam sich der Krieger fremd und verlassen vor inmitten dieser Pracht. Er sah sich staunend um. Wie ein Traum kam es über ihn. Ein Vorhang.
    Als er ihn zurückzog, stand er vor einem breiten Bett, über dem sich ein weiter, goldfarbener Baldachin spannte. Ein Liebeslager mit Kissen und einer Vielzahl weicher Felle. Daneben, in den Boden eingelassen, ein Becken, angefüllt mit kristallklarem, kühlem Wasser. Mythor tauchte die Hand hinein. Es roch verlockend nach feinem Öl.
    Er sah sich weiter um. An einer Wand hingen Waffen, alte, schartige Schwerter, Schilde, Pfeile und Bogen. Sie alle schienen von besonderem Wert zu sein. Eine Ausstrahlung haftete ihnen an, als hätten sie vor undenklichen Zeiten für den Lichtboten gekämpft. Aber etwas fehlte.
    Es war das zauberhafteste aller Wesen, das allem überhaupt erst einen Sinn gab. Syrina, hallte es in Mythor nach. Sie würde kommen, das wusste er genau. Schnell nahm er sein Gläsernes Schwert, setzte den Helm der Gerechten ab und legte beides auf ein kleines Tischchen neben dem Wasserbecken. Der Reiz des Geheimnisvollen, den er die ganze Zeit über spürte, wurde daraufhin noch um vieles stärker. Die Frau, die er begehrte wie keine andere, musste in seiner Nähe sein.
    Doch weshalb kam sie nicht, ihn zu begrüßen?
    Mythors Blick fiel auf einen leeren Rahmen. Ein wunderschön geschnitztes Stück. Sofort wusste er, dass es nur ein einziges Bild geben konnte, das hinein passte. Alles andere würde Blasphemie sein.
    Unwiderstehlich wurde der Zwang, das Pergament unter dem Wams hervorzuholen. Zögernd betrachtete er dann noch einmal dieses klassisch schöne Gesicht, das die Merkmale nordischer Kühle mit denen der südländischen Rasse vereinbarte. Schließlich fügte er das Bildnis in den Rahmen ein, der eigens dafür gemacht schien.
    Als er einen Schritt zurücktrat, geschah das Wunder.
    Das Bild schien plötzlich zu verschwimmen, als sei die Luft
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