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Das Nest der Nadelschlange

Das Nest der Nadelschlange

Titel: Das Nest der Nadelschlange
Autoren: Hubert Haensel
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Gelegenheit. Laut anfeuernd schrie er auf die Pferde ein; seine Peitsche knallte auf ihre Rücken. Die beiden vorderen Tiere bäumten sich auf, dass die Deichsel krachte, aber dann setzte sich das Gespann wieder in Bewegung .
    Die Menge konnte nicht schnell genug zurückweichen.
    Frauen, Männer und Kinder gerieten unter die Hufe oder wurden von den Rädern überrollt. Der aufbrandende Lärm übertönte ihre Schmerzensschreie.
    Die Pferde begannen zu scheuen. Fast sah es so aus, als würden sie zur Seite hin ausbrechen, doch ein eiserner Arm zwang sie die Rampe hinauf zur Brücke. Frerick Armos hatte nicht erwartet, dass die Wachen einem Edelmann den Weg versperren würden. Tatsächlich durfte das Gespann ungehindert passieren.
    Die Wut des Volkes entlud sich in wüsten Beschimpfungen. Steine flogen durch die Luft, ohne aber Schaden anzurichten. Kaum einer brachte noch den Mut auf, sich den Bewaffneten auf der Brücke entgegenzustellen. Zu viele Tote und Verletzte waren schon zu beklagen.
    Und dann sprengten Reiter heran. Von allen Seiten kamen sie, und niemandem blieb mehr Zeit zu fliehen. Mit Hilfe langschäftiger Lanzen trieben sie die Menschen zusammen wie eine Herde Vieh.
    Auch Frerick Armos blieb keine andere Wahl, als sich zu fügen, wollte er nicht mit den Hufen der Pferde oder gar mit einer scharfen Klinge Bekanntschaft schließen.
    Er hatte Angst. Die Reiter erschienen ihm wie eine Vorhut der anrückenden Caer. Sie waren gänzlich in Schwarz gekleidet, ihre Gesichter verbargen sie hinter Masken, die nur Sehschlitze aufwiesen. Sogar ihre Pferde hatten sie in Decken gehüllt und ihnen Tücher vor die Nüstern gespannt.
    *
    Syrina! Alles in Mythor war gespannte Erwartung. Mit jeder Faser seines Körpers fieberte er dem Augenblick entgegen, in dem er dieser unbeschreiblich schönen Frau endlich gegenüberstand.
    »Syrina!« flüsterte er.
    Mythor glaubte, alles vergessen zu können, was er jemals mit einer Frau erlebt hatte. Wie anders waren dagegen seine Erinnerungen an das Zusammensein mit den Frauen, zu denen er sich hingezogen fühlte, wenn er manchmal auf seinen Streifzügen außerhalb Churkuuhls in ein Dorf oder eine Stadt kam. Damals hatte er geglaubt, Liebe erschöpfe sich allein in der Erfüllung körperlichen Zusammenseins.
    Taka war eine Ausnahme gewesen. Zu ihr hatte er sich mit dem Herzen hingezogen gefühlt. Aber die Furcht hatte ihn davon abgehalten, in ihren Armen zu liegen - die Furcht, dass ihr Zusammensein fruchtbar sein und ihn für immer an Churkuuhl fesseln könnte. Aber nie hatte er für Taka so empfunden wie für diese Frau.
    Er erfuhr nun, dass Liebe etwas sein konnte, was seine Seele berührte und mit Feuer füllte. Er begehrte Syrina, deren Bildnis er nahe dem Herzen ständig bei sich trug, nicht nur mit seinem Körper. Worte allein waren nicht in der Lage, dieses Gefühl zu beschreiben. Eine bisher ungekannte Erregung hatte sich seiner bemächtigt und entließ ihn nun nicht mehr aus ihrem Bann.
    Der Schrei des Bitterwolfs... Der Junge, der vor ihm floh, tiefer in das uralte Gemäuer hinein. Syrina...
    Das alles passte zusammen. Lag vor ihm ein weiterer Stützpunkt des Lichtboten?
    Mythor drängte alle Gedanken beiseite. Immer stärker wurde die Empfindung von Ruhe und Frieden, die diesem Ort anhaftete wie eine Prophezeiung des Guten.
    Ein leises Flüstern ging von dem Helm der Gerechten aus, doch Mythor achtete nicht darauf.
    Einst mochte der Tempel, in dem er sich befand, ein gigantisches Bauwerk gewesen sein, Althars Wolkenhort durchaus vergleichbar. Selbst jetzt noch zeugten die unzähligen marmornen Säulen von Prunk und rauschenden Festen. Was von weitem wie eine halb verfallene Ruine aussah, zeigte in seinem Inneren nur wenige Spuren des Verfalls.
    Mehrfach mannshoch war die Decke, von wahrhaft epischen Gemälden geziert und von Skulpturen eingerahmt, an denen jedoch der Zahn der Zeit sichtbar genagt hatte. Und jede der Säulen konnte ein einzelner Mann kaum umfassen.
    Aber Mythor hatte nur flüchtige Blicke für all dies. Er folgte der lautlosen Stimme, die ihn rief. Den Jungen hatte er aus den Augen verloren; allerdings war er überzeugt davon, ihn in Syrinas Nähe wohlbehalten wiederzufinden.
    Allmählich rief der Helm der Gerechten Schmerzen hervor. Mythor verharrte, wandte sich um. Sofort fühlte er sich besser. Aber er dachte nicht daran, umzukehren. Eher würde er den Helm abnehmen.
    Der Säulengang endete vor einer Wand. Auch hier wieder die gleichen Gemälde, die
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