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Das Nest der Nadelschlange

Das Nest der Nadelschlange

Titel: Das Nest der Nadelschlange
Autoren: Hubert Haensel
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Vertrauen im Schwinden begriffen ist.«
    »Nein, nein«, beeilte sich der L'umeyn zu versichern. »Du verstehst mich falsch. Ich habe immer großen Wert auf deinen Rat gelegt.«
    »Dann tue es auch diesmal. Oder habe ich dich jemals enttäuscht?«
    Mormand machte eine ablehnende Bewegung. »Dennoch kann ich nicht sofort entscheiden.«
    Vassander erhob sich von der reich gedeckten Tafel, an der er zusammen mit dem L'umeyn gespeist hatte. Ein bedauernder Blick galt dem prächtig angerichteten Fasan, der noch unberührt auf der Platte lag.
    »Was ist, wohin gehst du?«
    Das verkniffene, runzlige Gesicht des Erzmagiers verzog sich zu einem Grinsen. »Es gibt noch viele Dinge«, sagte er, »die ihrer Erledigung harren.«
    »Aber die Nacht bricht herein.«
    »Der Lauf der Sterne wird mir zeigen, ob sich unsere Bestimmung erfüllt«, sagte Vassander. Er wandte sich um und verließ ohne ein weiteres Wort den Saal.
    Der L'umeyn blickte ihm sinnend nach, und als die Tür zufiel, zuckte er merklich zusammen. Im nächsten Augenblick schlug er den Gong neben seinem Platz. »Ich will Graf Corian sehen! Sofort!« trug er dem dienstbaren Geist auf, der sich nach seinem Begehren erkundigte.
    Frerick Armos hastete die Treppe hinunter. Aber überall verfolgte ihn das Bild des Todes. Von allen Seiten sprang es ihn an. Die verzerrten, entstellten Gesichter, die blutigen Hände.
    Die Tür war von außen verriegelt. Mit den Fäusten hämmerte er dagegen, bis ihm die Finger schmerzten. Das Holz war hart und trocken und durch Eisenbeschläge verstärkt. Selbst mit dem Dolch vermochte er es nur unter großem Kraftaufwand einzuritzen. Nach mehreren erfolglosen Versuchen gab er schließlich auf.
    Erst jetzt wurde ihm die bedrückende Stille bewusst, die in diesen Mauern Einzug gehalten hatte. Er wirbelte herum. Alle starrten sie ihn an, aber keiner kam, um ihm zu helfen.
    »Verdammt!« brüllte Armos. »Etwas müssen wir doch tun. Sollen wir wirklich hier sterben?«
    »Niemand entkommt dem Pesthaus«, murmelte jemand, und andere fielen ein: »Niemand!«
    »Bei Aqvitre, ich werde es schaffen!«
    »Finde dich damit ab, Freund, dass du zu den Verdammten gehörst.«
    Aber Armos stieß die Hand beiseite, die nach ihm griff. Er würde nicht aufgeben, niemals. Suchend sah er sich um.
    Die Mauern waren aus Stein, von massiven Balken durchzogen; Fenster fehlten, nur winzige Öffnungen ganz oben unter der Decke waren vorhanden. Dennoch war es nicht völlig finster. Zum einen fiel ein fahler Schimmer durch diese Scharten. Der im Zunehmen begriffene Halbmond streute sein kaltes Licht über die Länder des Nordens aus. Auch hatten sich leuchtende Moose und Flechten in feuchten Ritzen festgesetzt. Eine zweite Tür, die ins Freie hinausführte, gab es nicht. Frerick Armos betrat jeden Raum. Überall schlug ihm der Geruch von Verwesung entgegen. An manchen Stellen lagen Skelette zu Dutzenden.
    Irgendwann - er war des Suchens müde geworden und der Verzweiflung nahe - stieß sein Fuß gegen einen Stein, der sofort davonrollte. Armos bückte sich und hob ihn auf. Der Stein war so klein, dass ein halbes Dutzend davon in seine Hand gepasst hätte. Da war auch noch ein zweiter ähnlicher, nur wenige Schritte weit entfernt in einer Ecke. Prüfend schlug der Schmied sie gegeneinander. Nichts.
    Erst beim zweitenmal sprang ein winziger bläulicher Funke davon. Und dann waren es schon zwei Funken, die wie eine Verheißung aufglühten.
    Plötzlich wusste Armos, was er zu tun hatte. Er riss sich seinen Fellumhang vom Leib, rannte zur Tür zurück und breitete ihn dort aus. Dann die Treppe: Das Holz, aus dem sie bestand, war weich, an vielen Stellen bereits morsch. Mit dem Dolch brach er Spreißel von der Länge einer Handspanne heraus. Alles warf er auf seinen Umhang.
    »Was hast du vor?« Ciarisse war die erste, die ihn fragte. Sie schien von allen noch den größten Lebenswillen zu besitzen. Vielleicht gab ihr das Kind, das sie an ihre Brust drückte, den Mut dazu. Einige Männer folgten ihrem Beispiel und boten dem Schmied ihre Hilfe an. Aber Armos wehrte ab. »Es gibt nichts mehr zu tun«, sagte er. Seine Finger tasteten nach dem Amulett, das er unter seiner Kleidung trug. Von dem winzigen, in Silber gegossenen Symbol ging eine Kraft aus, die ihn hoffen ließ.
    Dann schlug er die Feuersteine erneut gegeneinander. Aber keiner der entstehenden Funken wollte das Holz oder den trockenen Pelz in Brand setzen. Alle glommen sie nur für eine kurze Zeit und erloschen
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