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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer
Autoren: Inge Lempke
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flacher.
    Vielleicht hätte Rike ihr Vorhaben , Johanns Körper dem Erdboden gleich zu machen, restlos in die Tat umgesetzt, wenn sie nicht irgendwann in der Ferne näher kommendes Scheinwerferlicht bemerkt hätte. Das brachte sie zur Besinnung. Hektisch wendete sie und raste zurück in die Stadt. Empört, aufgewühlt und mit hämmerndem Herzen.
    Aber ganz allmählich übernahmen ihre Gedanken immer mehr die Kontrolle und beschäfti gten sich mit den Maßnahmen, die jetzt getroffen werden mussten. Vielleicht reichte die Zeit noch für ein Alibi.
    Rike stellte den gestohlenen Wagen neben ihrem eigenen Wagen in der Nähe der Barockki rche ab, ließ den Zündschlüssel stecken, stieg aus, verbot sich, die Stoßstange oder die Reifen anzusehen, und hätte das Wichtigste fast vergessen: ihre Fingerabdrücke von allem abzuwischen, das sie angefasst hatte.
    Nachdem das erledigt war, fuhr sie in ihrem eigenen Auto in gem äßigtem Tempo zurück nach Hause. Die Haustür war nicht abgeschlossen. Als sie in den Flur trat und nach dem Lichtschalter tastete, fiel ihr der Fön ein. Hatte Johann die Sicherung wieder eingeschaltet? Er hatte. Sie lief hinauf in ihr Zimmer, schlüpfte in ein langes, braunes Kleid mit nettem Ausschnitt und stopfte die benutzten Kleidungsstücke unter ihr Bett
    Anschließend drapierte sie im Bad vor dem Spiegel ihre dunklen Naturlocken offen über die Schultern, legte Lippenstift auf und parf ümierte sich ordentlich ein. Das gehörte zum Plan. Genauso wie die zwei Gläser und die Flasche Wein, die sie im Wohnzimmer auf dem Tisch abstellte, bevor sie sich kurz nach 22 Uhr auf das mittlere der rauchblauen Ledersofas setzte und sich, während sie in einer Zeitschrift blätterte, von einer Musiksendung im Fernsehen berieseln ließ.
    Ab und zu versuchte sie sich einzureden, dass nichts Schlimmes passiert sei, dass sie sich nur ein wenig beunruhigt fühlte, weil ihr Mann noch nicht nach Hause gekommen war. Ke ine zehn Minuten saß sie auf dem Sofa, als es an der Haustür klingelte. Sie ging nach unten, öffnete die Tür. Erwartet hatte sie zwei uniformierte Polizeibeamte. Was sie nicht erwartet hatte, war, stattdessen zwei Männer in Zivil vor sich stehen zu sehen.
    Der ältere von beiden, der Mann mit den grauen, kurzen Haaren und der Brille, war ihr nicht unbekannt. Trotzdem hielt er ihr seinen Ausweis unter die Nase und info rmierte sie förmlich: „Guten Abend, Frau Wolter, Sie erinnern sich sicher an mich: Hauptkommissar Heinz, Morddezernat, und das ist mein Kollege, Herr Lange. Dürfen wir reinkommen?“
    Rike war sich bewusst, dass beide Männer ihre Reaktion genau beobachteten. Dass ihr der Schreck im Gesicht stand, brauchte sie nicht einmal zu spielen. Wieso klingelte die Mor dkommission an ihrer Tür? Hatte man Johanns ,Unfall‘ sofort als Mord eingeordnet? Verdächtigte man sie bereits?
    „Was ist passiert?“ , fragte sie mit ängstlicher Stimme, während sie vor ihnen her durch den Flur eilte. „Hat es was mit meinem Mann zu tun? Ich warte schon seit mindestens zwei Stunden auf ihn!“
    „Es ist vielleicht besser, Sie setzen sich, bevor wir mit Ihnen darüber reden“ , befand Kommissar Lange, und er sprach so behäbig, dass sie den ersten Treppenabsatz erreicht hatten, noch ehe er den Satz zu Ende gesprochen hatte. Seine Art machte Rike wütend.
    Aber als sie vor den beiden die Treppe hochstieg, verwandelte sich ihre Wut allmä hlich in Angst. Ihr fielen immer mehr Dinge ein, die ihre Pläne durchkreuzen konnten. Lebte zum Beispiel Privatdetektiv Bachmann noch? Würde er sie belasten? Hatte Johann, als sein Fuß genäht wurde, gesagt, woher die Wunde stammte? Hatte er in den letzten Stunden irgendetwas niedergeschrieben, das sie als Täterin entlarven würde?
    Rike merkte, wie ihre Nervosität wuchs. Ihr wurde auf einmal klar, dass es nicht nur wichtig gewesen war, Johann zu bestrafen, sondern dass es genauso wichtig war, damit durchzuko mmen!
    Mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven führte sie die beiden Männer ins Wohnzimmer, wo sie sich nebeneinander auf das gleiche Sofa setzten. Auch Rike ließ sich nieder, auf der vorderen Kante des mittleren Sofas, und knetete ihre Hände. „Was ist denn nun mit Johann?“
    Kommissar Heinz machte ein sehr ernstes Gesicht und sah mit seinen durch die Brille vergr ößerten Augen haarscharf an ihr vorbei, während er sprach. „Es tut mir sehr leid, Frau Wolter, Ihr Mann wurde vor etwa einer Stunde überfahren. Das hat er leider nicht
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