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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer
Autoren: Inge Lempke
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zu sanfthügelige Wiesen und Felder. Nicht ganz gerade verlaufende Hecken, die Felder und Weiden unterteilten, hatten angefangen zu blühen. Die Sonne brannte schon heiß durch die Scheibe, wenn sie sich nicht gerade hinter graubauchigen Wolken versteckte, die eilig über den Himmel zogen und ihre Schatten schnell und riesig über die Landschaft gleiten ließen.
    Dann tauchte das alte, gedrungene Haus auf, das von mehreren großen Bäume n umstanden war, und es brachte Rike allein durch seinen Anblick vor Freude und Glück an den Rand der Tränen. Was für ein Traum von einem Haus! Solide gebaut aus Natursteinen und mit schwarzem Schiefer neu gedeckt. Ein Haus wie aus einem irischen Film!
    Rike schluckte ein paar Mal und putzte sich die Nase, und als Achim den Wagen vor der G arage abgestellt hatte, wandte er sich Rike mit liebevollem Lächeln zu, nahm sie in den Arm, küsste sie aufs Ohr und flüsterte: „Ich weiß, dass du schon immer so leben wolltest, und ich verspreche dir, wir drei werden hier sehr glücklich sein.“
    Jetzt kamen ihr erst recht die Tränen, einen so romantischen Achim war sie gar nicht g ewohnt.
    Eine Viertelstunde später weihte Rike den neuen Herd ein und briet Spiegeleier. Nach dem Mittagessen wurde weiter ausgepackt, und Achim brachte hier eine La mpe an und dort einen Toilettenpapierhalter. Es war klar, dass sie noch ein paar Wochen mit Einrichten beschäftigt sein würden. Rike freute sich darauf.
    Am späteren Nachmittag machte sie mit Achim einen Rundgang durch den riesigen Ga rten, in dem lange nichts getan worden war. Eine sehr lückenhafte Hecke und ein größtenteils zusammengebrochener und am Boden verrottender Lattenzaun deuteten die Grenzen des Grundstücks an. Im hinteren Teil des Gartens wuchsen drei Apfelbäume, eine ausladende Kastanie und eine windschiefe Eiche.
    Büsche mussten geschnitten und ein richtiger Rasen angelegt werden, aber das Wichtigste war zunächst ein Zaun um das ganze Gelände herum, damit ihnen Ha nnah nicht abhanden kam. Der Zaun war bestellt und würde voraussichtlich in der kommenden Woche aufgebaut werden.
    Nach dem Abendessen faltete Rike ein paar leere Pappkartons zusa mmen.
    „Wo willst du die hintun?“ , fragte Achim, der im Flur in einer Ecke kniete und mit Hingabe Farbreste vom gefliesten Boden kratzte.
    „Ich dachte, die v erstauen wir erst mal im Keller“, antwortete Rike und hakte nach: „Oder ist der etwa immer noch nicht trocken?“
    „Doch, doch, trocken ist er, aber ...“ Achim nuschelte etwas vor sich hin, das Rike nicht ve rstand.
    „Was ist?“
    „Ich sagte, es ist wieder aufgebrochen. Dein Vater muss sich das morgen mal ansehen.“
    Zum ersten Mal seit dem Umzug empfand sie ein vages Unbehagen. Tief drinnen hatte sie es geahnt. Seit sie den Keller zum ersten Mal betreten hatte, hatte sie es geahnt: der Keller wü rde Schwierigkeiten machen. Dort herrschte eine eigentümliche Atmosphäre. Dort roch es alt und irgendwie ... irgendwie fremdartig. Dort wurde es irgendwie nicht richtig dunkel, wenn man das Licht ausmachte.
    „Ich seh mir das mal an. Kommst du mit?“ , fragte sie Achim, der immer noch eifrig kratzte.
    „ Nein, wir haben doch hier oben genug zu tun!“ Er wirkte regelrecht ungehalten.
    „Gut, geh ich eben allein“ , gab sie zurück und bereute die Ankündigung, kaum dass sie sie ausgesprochen hatte. Aber sie würde jetzt keinen Rückzieher machen!
    Sie ging zur Kellertür, schloss sie auf, schaltete das Licht ein und bewegte sich vorsichtig, eine Hand am hölzernen Geländer, die unterschiedlich hohen Treppenstufen hinunter, die aus polierten Natursteinen gearbeitet und entsprechend glatt waren. Unten summte leise die nagelneue Heizung, und ein leichter Geruch nach Heizöl wehte Rike entgegen. Aber schien darunter nicht ein anderer Geruch zu liegen, ein Geruch nach ... nach frisch gemähtem Gras?
    Auf der letzten Stufe blieb sie stehen, schaute auf den Boden des kurzen Gangs, von dem zu beiden Seiten zwei große Räume abgingen, und fühlte wieder nichts als U nbehagen durch ihre Eingeweide kriechen: der gerade vor wenigen Tagen gegossene Betonestrich, der den rissigen Untergrund hätte abdichten sollen, wies streichholzdicke Spalten auf. Wie konnte so etwas passieren? Gab es unter dem Keller Hohlräume, in denen der Beton einfach versickerte?
    Ihr Vater war Maurer und verstand sicher einiges von Decken, Wänden und Böden, aber sie bezweifelte, dass er es mit diesem Keller aufnehmen konnte.
    Sie machte kehrt
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