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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer
Autoren: Inge Lempke
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war.
    Man unterhielt sich über Belanglosigkeiten und über das bevorstehende Osterw ochenende, und hätte weitergeplaudert, wenn Hannah nicht angefangen hätte zu quengeln, weil ihr langweilig war.
    Zum Abschied lud Rike die Wolters spontan zu Kaffee und Kuchen am Ostermontagnachmi ttag ein. Sie sagten zu, und Achim ließ ein reserviertes Lächeln sehen. Auf dem Weg zurück nach Hause schmollte er still vor sich hin, weil sie sich wegen der Einladung vorher nicht abgesprochen hatten.
    Am Abend, als Hannah im Bett lag und schlief, ließ sich Rike auf dem Sofa neben Achim nieder, schmiegte sich an ihn und fragte: „Bist du noch sauer wegen der Ei nladung?“
    Achim legte einen Arm um ihre Schultern. „Du hättest mich schon fragen können. Ich wollte eigentlich am Montag an der Garage weiterarbeiten.“ Er gab ihr ein Küsschen auf die Stirn.
    „Na hör mal, die Wolters bleiben doch höchstens zwei Stunden! Da hast du doch genug Zeit für deine Garage!“ Rike versuchte, ihm in die Augen zu sehen, aber Achim schaute auf den Fernseher.
    „Ich finde die Leute irgendwie aufdringlich.“
    „Genau das gefällt mir - dass sie sich für andere Menschen interessieren“ , widersprach Rike. „Du entwickelst dich immer mehr zum Eigenbrötler.“
    Jetzt lächelte er sie verschmitzt an. „Da tust du mir aber bitter Unrecht. Ich bin im Geschäft den ganzen Tag mit Leuten zusammen, da möchte ich wenigstens abends und am Wochene nde ein bisschen Ruhe haben. Und ein bisschen Zeit für uns beide.“
    Er strich über ihr Haar und ließ seine Hand immer weiter abwärts wandern. Zehn M inuten später verzogen sie sich in ihr Schlafzimmer, und Rike betete, dass Hannah jetzt nicht vor lauter Durst, Bauchweh, Herzrhythmusstörungen oder krankhaftem Grübelzwang wieder aufwachte. Ihre Gebete wurden erhört.
    Ein paar Tage später, a m Donnerstagvormittag, kaufte Rike mit Hannah im Supermarkt am Stadtrand ein. Als sie wieder im Auto saßen, war es deutlich später, als sie gedacht hatte. Also servierte sie sich und Hannah einfach eine Hühnersuppe mit Nudeln aus der Tüte und zum Nachtisch eine große Portion Eis.
    Draußen schien die Sonne, in der Küche lief leise das Radio, und Rike dachte, wä hrend sie aß, über die Farbe für die neuen Übergardinen an den beiden Küchenfenstern nach. Die ersten Sonnenstrahlen tasteten sich durch das Südfenster über den hellgekachelten Fußboden.
    Rike sah hinaus in den Garten und stellte sich vor, wie die noch kahlen Bäume und Büsche in ein paar Wochen den Garten in ein grünes Paradies verwandeln würden, stellte sich einen zierlich verspielten Holzpavillon zwischen der mächtigen Kastanie und der windschiefen E iche vor, stellte sich eine gemütliche Terrasse mit großen, blau und rot blühenden Kübelpflanzen vor ... und schrak furchtbar zusammen, als Hannah plötzlich den Löffel in den Teller fallen ließ und begeistert rief: „Fertig! Noch mehr!“
    Rike gab noch eine weitere Portion Schoko-Kirsch-Eis in ihr Glasschälchen. Während Hannah mit nervenaufreibender Langsamkeit das Eis vom Löffel lutschte, fragte Rike ihre Tochter: „Wollen wir gleich gekochte Eier färben?“
    Hannah nickte nur.
    „Prinzesschen, iss doch ein bisschen schneller, das ganze Eis schmilzt ja“, riet sie ihr, aber Hannah schaute sie mit großen, veilchenblauen Augen an, kicherte plötzlich und machte keinerlei Anstalten, den Rat zu befolgen.
    Rike mochte gar nicht hins ehen. Ihr Blick wanderte wieder in Richtung Fenster, als die Musik im Radio verstummte und ein Sprecher meldete: „Hallo, liebe Zuhörer, es ist 12.30, und offenbar hat der Osterreiseverkehr bereits eingesetzt. Wir haben hier für Sie die folgenden Staumeldungen: auf der A3 zwischen -“
    Mehr hörte Rike nicht, denn in ihren Ohren schwoll ein Rauschen an, das zu einem Kre ischen wurde und alle anderen Geräusche übertönte. Gleichzeitig fiel ein milchiger Vorhang vor ihren Augen herab, und das letzte, was sie verzweifelt und voller Panik denken konnte, bevor ein blaues Etwas ihr Bewusstsein abschaltete, war: Nein! Nein! Doch nicht jetzt!
     
    Das erste, was Rike sah, war ihre Hand, die einen Löffel hielt, dessen Spitze den Boden eines Glasschälchens berührte. Irgendwo im Hintergrund spielte leise Musik. Rike schaute auf. Genau ihr gegenüber saß Hannah in ihrem Hochstuhl und sah sie mit erstaunten Augen an.
    Was war passiert? Hatte sie wieder das Bewusstsein verloren? Ja, sie war weg gewesen! Gott, was musste das Kind durchgemacht
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