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Ein Lotterielos. Nr. 9672

Ein Lotterielos. Nr. 9672

Titel: Ein Lotterielos. Nr. 9672
Autoren: Jules Verne
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Jules Verne
    Ein Lotterielos
    Nr. 9672
    Mit 39 Illustrationen von George Roux

    Titel der Originalausgabe:
    Un Billet de loterie. Le numéro 9672 (Paris 1886)
    Nach zeitgenössischen Übersetzungen
    überarbeitet von Günter Jürgensmeier

    I.
    »Wieviel Uhr ist es?« fragte Frau Hansen, nachdem sie die
    Asche aus ihrer Pfeife geschüttelt hatte, deren letzte Rauch-
    wölkchen sich zwischen den buntfarbigen Deckenbalken
    verloren.
    »8 Uhr, Mutter«, antwortete Hulda.
    — 4 —
    »Es ist nicht anzunehmen, daß während der Nacht Rei-
    sende ankommen; das Wetter ist zu schlecht.«
    »Ich glaube auch nicht, daß jemand kommt. Jedenfalls
    sind unsere Stuben hergerichtet, und ich würde es gewiß
    hören, wenn einer von draußen riefe.«
    »Dein Bruder ist noch nicht zurückgekommen?«
    »Noch nicht.«
    »Hat er nicht hinterlassen, heute wieder heimzukeh-
    ren?«
    »Nein, Mutter. Joel bringt einen Reisenden nach dem
    Tinn-See, und da er erst ziemlich spät weggefahren ist,
    glaub’ ich nicht, daß er vor morgen nach Dal zurückkeh-
    ren kann.«
    »Er wird also in Moel übernachten?«
    »Wahrscheinlich, wenn er nicht noch bis Bamble fährt,
    um dem Pächter Helmboë einen Besuch abzustatten . . .«
    »Und dessen Tochter?«
    »Gewiß, auch um Sigrid, meine beste Freundin, zu se-
    hen, die ich wie eine Schwester liebe!« erwiderte das junge
    Mädchen lächelnd.
    »Nun, dann schließ die Tür, Hulda; wir wollen schlafen
    gehen.«
    »Du bist doch nicht wieder leidend, Mütterchen?«
    »O nein, ich denke sogar, morgen recht frühzeitig aufzu-
    stehen. Ich muß nun einmal nach Moel . . .«
    »Nach Moel? Warum?«
    »Ei, müssen wir nicht daran denken, unsere Speisekam-
    mern für die bevorstehende Jahreszeit gefüllt zu halten?«
    — 5 —
    »So ist der Bote von Christiania mit seinem Wagen voll
    Speisen und Getränke in Moel schon eingetroffen?«
    »Ja, Hulda, diesen Nachmittag«, bestätigte Frau Hansen.
    »Lengling, der Werkführer in der Sägemühle, ist ihm be-
    gegnet und hat es mir im Vorübergehen mitgeteilt. Unsere
    Vorräte an Schinken und geräuchertem Lachs sind stark
    zusammengeschmolzen, und ich mag nicht Gefahr laufen,
    deshalb erst in Verlegenheit zu kommen. Jeden Tag, vor al-
    lem wenn das Wetter sich bessern sollte, können die Touris-
    ten nun ihre Ausflüge durch Telemarken wieder beginnen.
    Unser Haus* muß bereit sein, sie aufzunehmen und ihnen
    alles für ihren Aufenthalt Erforderliche liefern zu können.
    Weißt du, Hulda, daß wir schon den 15. April schreiben?«
    »Ach ja, schon den 15. April!« murmelte das junge Mäd-
    chen.
    »Morgen also«, fuhr Frau Hansen fort, »werde ich alles
    Nötige besorgen. Binnen 2 Stunden können meine Einkäufe
    erledigt sein, die der Bote hierher schaffen mag, während
    ich mit Joel im Schußkarren zurückkomme.«
    »Wenn du dabei den Postkurier triffst, liebe Mutter, so
    vergiß ja nicht zu fragen, ob er etwa einen Brief für uns hat
    . . .«
    * In dem dünn bevölkerten Norwegen, ebenso wie in Schwe-
    den, ruht auf gewissen Häusern, Gjestgifverier genannt, neben
    dem Recht, Reisende zu beherbergen, auch die Pflicht, diese mit-
    tels zweirädriger Wagen, »Schuß«, norwegisch Skyds genannt, zu
    behördlich bestimmtem Preis zu befördern. D. Übers.
    — 6 —
    »Besonders einen für dich! Das wäre wohl möglich, denn
    Oles letztes Schreiben ist nun schon 1 Monat alt.«
    »Ja, 1 Monat . . . 1 ganzen langen Monat alt!«
    »Sorge dich darum nicht, Hulda, einer solchen Verzöge-
    rung gibt es doch nichts zu wundern. Und wenn der Post-
    kurier von Moel nichts mitgebracht hätte, kann das, was
    über Christiania nicht eintraf, nicht etwa über Bergen kom-
    men?«
    »Gewiß, liebe Mutter, darum härme ich mich auch nicht.
    Mir wird das Herz nur so schwer, weil es von hier bis nach
    den Fischgründen von Neufundland gar so weit ist. Von
    dort gilt es ein ganzes Weltmeer zu durchsegeln und oben-
    drein bei schlechtem Wetter. Nun ist mein armer Ole schon
    fast ein ganzes Jahr lang fort, und wer weiß, ob wir ihn
    überhaupt in Dal wiedersehen werden!«
    »Wenn wir nur bei seiner Rückkehr noch hier sind!«
    murmelte Frau Hansen, aber so leise, daß ihre Tochter es
    nicht verstehen konnte.
    Hulda schloß die Tür des Gasthauses, die auf die Straße
    nach dem Vestfjorddal hinausführte, nahm sich aber gar
    nicht die Mühe, den Schlüssel auch nur einmal im Schloß
    umzudrehen. In dem gastlichen Norwegen sind solche Vor-
    sichtsmaßnahmen entbehrlich. Man hält es hier für
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