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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau
Autoren: Veronika Peters
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um ihre Enkelkinder kümmern müsse.
    Ich hatte vorher nie darüber nachgedacht, dass auf jede der Schwestern ein Leben in Polen wartete, Männer, Kinder, Enkel, Häuser und Schäferhunde, für die ich nicht ein einziges Mal Interesse gezeigt hatte. Für mich hatten sie beide jeweils aufgehört zu existieren, wenn sie in den Zug gestiegen waren, und hatten ihre Existenz wieder aufgenommen, wenn ich ihnen behilflich gewesen war, die Koffer durchs Treppenhaus zu schleppen. Dabei war ihr Dasein im Palau nur das Zweitleben gewesen, das dazu gedient hatte, ihr eigentliches Leben
zu finanzieren. Wir waren die Parallelexistenz zum wirklichen Leben, nicht der Vorort von Warschau oder das Dorf in Masuren, von dem ich nichts wusste. Ich kannte nicht einmal Anias oder Baschas Nachnamen.
    Â»Erzähle mir von euren Familien«, bat ich beim nächsten Frühstück, und Ania ging einen dicken Packen Fotos holen. Ich schaute mir eine halbe Stunde lang Aufnahmen von polnischen Vorgärten, stolzen Söhnen, frisch diplomierten Töchtern sowie rosigen Enkelbäckchen und putzigen Haustieren an und wunderte mich nicht wenig über mich selbst, als ich gegen eine Druckstelle in meinem Hals ankämpfen musste, die sich bei näherem Hinsehen womöglich als der blanke Neid herausgestellt hätte.
    Â»Große Familie, ja?«
    Â»O ja, alle sehr, sehr lieb! Du kommst mit nach Polen, und ich stelle sie dir vor!«
    Â»Das wäre schön.«
    Sie küsste mich schmatzend auf beide Wangen und sagte: »Baschas Familie auch viele! Lernst sie kennen, wenn du kommst! Wir machen Essen am großen Tisch in meinem Garten, wenn Sommer ist. Ja, Kaschka, du machst Urlaub bei mir!«
    Â»Ja, warum nicht, eines Tages …«
    Â»Gut! Du hast versprochen! Sag ich Bascha, sie wird sich so freuen!«
    Â»Warum kommt deine Schwester nicht noch einmal hierher, um auf Wiedersehen zu sagen?«
    Â»Bascha kann nicht mit ansehen«, gestand mir Ania unter Tränen, ich musste schwören, der Tante nichts davon zu sagen, und machte mich schleunigst davon, um nicht noch einmal an ihren gewaltigen Busen gedrückt zu werden.
    Mich bei Sergej nach Olgas Rückkehr zu erkundigen unterließ
ich, nachdem ich in der Küche ein Telefonat mit angehört hatte, in dem er irgendeinem Dimitri versicherte, kalte Küche sei für ihn kein Problem, er werde sich dann eben blaue Knöpfe annähen.
    Â»Willst du auch weg?«, fragte ich ihn.
    Â»Noch nicht«, sagte er, und ich ergänzte: »Aber bald.«
    Sergej zuckte mit den Schultern: »Was soll man machen?«
    Als Frank sich am selben Tag für irgendeinen Literaturworkshop in Berlin verabschieden wollte, schnauzte ich ihn an, dass von mir aus auch alle sofort verschwinden könnten, für immer, mir wäre es sowieso vollkommen egal. Frank blieb gelassen, sagte nur: »Quatsch!« und dass er nächsten Mittwoch wieder da sei. So war es dann auch. Er saß bereits am frühen Nachmittag neben dem Doc am Tresen: ein schmaler langer und ein breiter kurzer Rücken, jeder still vor einer Bierschaumkrone, und ich war nicht wenig verwirrt über die Feststellung, wie sehr mich dieser Anblick beruhigte. Frank drehte sich nach mir um und sagte: »Doc, schau sie dir an: Sie lächelt! Die Frau meiner Träume!«
    Ich sagte: »Hau bloß wieder ab, Idiot!«
    Der Doc sah über seine Schulter, nickte mir zu, blickte wieder auf sein Bierglas und sagte: »Euch zwei in den Sack getan, Ruth und dich; und wenn man draufhaut, trifft man immer die Richtige.«
    Â 
    Bevor die Pflegerin Anfang April für eine Woche in Urlaub ging, fragte sie mich, ob ich das Waschen der Tante morgens übernehmen könne, dann brauche ihre Vertretung nur abends zu kommen, die habe ohnehin einen zu vollen Arbeitsplan.
    Â»Sie wird das nicht wollen«, sagte ich unsicher.
    Â»Ich habe Frau Schuhmann selbstverständlich gefragt, ob es
ihr recht wäre. Sie hat nichts dagegen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Für Frau von Kroix wäre es zu schwer.«
    Die Schwester wertete mein Schweigen als Bereitschaft, tat so, als sei es selbstverständlich, dass ich diese Aufgabe übernahm. Ich bekam noch eine praktische Einführung, bei der sie launig zu Ruth sagte: »Gut, dass Ihre Nichte so groß ist, Frau Schuhmann, da haben Sie beide es leichter miteinander!«
    Die Tante witzelte: »Leicht miteinander! Hast du es gehört,
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