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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau
Autoren: Veronika Peters
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und man nahm ihr höchstens etwas ab, wenn sie ausdrücklich den Befehl dazu erteilt hatte.
    Â 
    Tante Ruth war eine Halbschwester meines Vaters, aus der ersten Ehe des Großvaters, und ich war überzeugt, dass niemand unseres Zweigs der Familie sie vorher kennengelernt
hatte. Mein Vater wusste, dass sie existierte, seit Großvaters Tod auch, dass sie ein Hotel an der Ostsee betrieb. Bei der Hochzeit eines Vetters hatte er es mir nach dem siebten Glas Sekt erzählt. Nein, da war kein dunkles Geheimnis, versicherte er, nur ein blutjunger, ratloser Witwer, der sein Kind in die Obhut der Schwägerin gegeben hatte und später seine neue Familie nicht mit einem weiteren Mitglied belasten wollte. Dem Kind ging es gut dort, wo es war, es liebte seine Pflegeeltern, daran hatte der Großvater nicht rühren wollen und in eine Adoption eingewilligt. Fortan wurden die familiären Stränge in gegenseitigem Einvernehmen auseinandergehalten, auch finanziell. Das war alles.
    Ob der Großvater es sich da nicht ein bisschen einfach gemacht habe, fragte ich meinen Vater, und ob er selbst nie neugierig gewesen sei auf die unbekannte Schwester, zumindest auf eine mögliche andere Version der Geschichte, aber er zuckte mit den Schultern, sagte, nein, und das sei nur eine von Tausenden solcher Geschichten aus dieser Zeit. Ich kannte meinen Papa gut genug, um ihn nicht weiter zu bedrängen, und so nahm ich mir vor, der Sache irgendwann selbst nachzugehen, was ich aber bald wieder vergaß, weil ich mich verliebt hatte und glaubte, Wichtigeres herausfinden zu müssen.
    Bis mir dann eines Tages wieder einfiel, dass es diese vergessene Tante gab, und ich mich auf den Weg machte, einfach so. Na ja. So einfach auch wieder nicht.
    Es gefiel mir zu sagen: »Ich fahre zum Palau.«
    Nicht dass mich jemand danach gefragt hätte. Ich erzählte es dem Bäcker, der Zeitungsfrau, meiner Freundin Manu, die ihr Gästezimmer anderweitig benötigte. »Macht mir nichts aus, dann fahre ich eben so lange ins Palau«, sagte ich und probierte den Satz noch ein, zwei Mal, bis ich ihn selbst glaubte. Es klang
weit weg, und da wollte ich hin, auch wenn es nur ein Wochenende und bloß die Ostsee war. Zu diesem Zeitpunkt wäre ich überallhin gefahren, wo nicht Hamburg auf dem Ortsschild stand, am liebsten ans Meer, und für die Reise nach Halsung reichte mein Budget gerade noch. Eine Tante im Hotelgewerbe könnte interessant sein, unter Umständen eine Chance, dachte ich, Hauptsache, erst einmal weg von hier.
    Ursprünglich war es vielleicht ein Mangel an Alternativen, eine Verlegenheitslösung, eine Laune, wenn man so will, aber trotzdem: Ich habe sie mir ausgesucht.
    Â 
    Ausgerechnet Palau. Vor der Abreise hatte ich in Manus Computer nachgeschaut und eine Unmenge von Einträgen gefunden. Ich schaute mir ungefähr die ersten fünfzig an, Texte, Bilder, Videos. Es war alles dabei: Amateurtaucherfilme, Palmenstrände, Wasserfall, Südseeidyll, Moosgrün auf Azur, hübsch anzusehen. Ein One-Way-Ticket nach Palau, Mikronesien, Ende des Regenbogens, kostete anderthalbtausend Euro. Abgesehen davon hätte ich mir mit Freude eins gebucht, auf der Stelle. Den gelben Sonnenball auf himmelblauer Flagge wehen sehen, im lauwarmen Türkis schnorcheln und Delphine vorbeigleiten lassen, dagegen hätte ich wirklich nichts gehabt. Ich verbrachte eine Stunde mit Südseefantasien, bis mir wieder einfiel, was ich eigentlich suchte.
    Es gab aber keine Informationen über ein deutsches Hotel mit Namen Palau.
    Warum sollte jemand, der nicht einmal über eine Homepage verfügte, sein Haus nach einem südpazifischen Inselstaat nennen, wenn es am Rand eines Fischerdorfs an der holsteinischen Ostseeküste lag? Andererseits: Warum nicht? Der Name wirkte: Palau. Ein Wort, das sich um die Zunge dreht, wenn man
es mehrmals hintereinander spricht: Palau, Palau, Palau, man kann kaum wieder damit aufhören.
    Sie hatte es aus einem Gedichtband von Gottfried Benn:
    Rot ist der Abend auf der Insel von Palau.
    In der Schule war meine Freundin Manu wegen der Weigerung, einen seiner Texte zu interpretieren, einmal beinahe nicht versetzt worden. »Mit jemandem, der sich von den Nazis vor den Karren spannen ließ, muss ich mich nicht beschäftigen!« , hatte Manu der Deutschlehrerin entgegen geschleudert.
    Ruth hatte gelacht, als ich ihr davon erzählte, und gesagt: »Alles in einen Topf
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