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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau
Autoren: Veronika Peters
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als Rezeption.
Auf einem Tischchen stand ein Plexiglasbehälter mit Postkarten, Prospekten der Ostsee-Touristik, Wanderkarten, kopierten Faltblättern, Willkommen im Strandhotel Palau.
    Ich schaute neben dem Empfang durch die Butzenscheiben, die ich vorher nicht als Eingang hatte gelten lassen wollen. Jemand hatte sich hier der Kunst des Malens von Botschaften verschrieben: TÜR BITTE FESTHALTEN! DURCHZUG!
    In der blankpolierten Rezeptionsklingel spiegelte sich die Schnauze einer imposanten getigerten Katze. Sie lag lang ausgestreckt auf dem Empfangstresen und schlief, ohne mich zu bemerken. Wo früher die hintere Schrankwand gewesen sein musste, führte eine offene Tür von der Rezeption in einen kleinen Büroraum. Mit Schreibtisch, Drehstuhl, Zetteln und Papieren war er mehr als voll, aber nicht chaotisch. Es wirkte straff organisiert, was sich da verteilte und bündelte, als hätte jemand aus dem Minimum an Platz das Maximum an Ordnung herausgeholt: Stapel in verschiedenen Größen auf Kante, Ablagen, Fächer, Klebenotizen, alles unter der Herrschaft des rechten Winkels. Es wirkte trotzdem nicht pedantisch, was an sich schon bemerkenswert war. Einige Sekunden dauerte es, bis mir auffiel, was an dem Anblick nicht stimmte: Der Computerbildschirm fehlte. Es gab auch nicht den kleinsten Hinweis auf elektronische Datenverarbeitung. Nicht einmal die Schreibmaschine sah aus, als ob sie einen Stecker hätte. Eine Art schwarzes Brett füllte die Wand über dem Schreibtisch, dort konnte man mit kleinen farbigen Steckkärtchen die Zimmerbelegungen kenntlich machen. Auch wenn sich mir das System nicht auf Anhieb erschloss, merkte ich, dass derzeit nicht ausgebucht war, eher das Gegenteil. Ich zählte zwölf Zimmer. Unter den einzelnen Nummern stand handgeschrieben etwas, das ich auf die Entfernung nicht entziffern konnte.
Ein langer vergilbt-grauer Kartonstreifen blockierte Zimmer elf für den gesamten April, Mai und Juni. Ein Langzeitgast oder Renovierungsarbeiten, dachte ich, jetzt war ja bestenfalls Vorsaison. Auf der Innenseite des Tresens lag ein Stapel Post, den ich vorher nicht bemerkt hatte, sieben oder acht Briefe. Ich trat einen Schritt heran, um die Adresse auf dem obersten Etikett zu entziffern. Die Katze hob den Kopf, fixierte mich mit senfgelben Augen, in denen das Wort Sicherheitsabstand geschrieben stand. Zum Glück bin ich weitsichtig.
    Absender: Barmer Ersatzkasse
An Frau Ruth Schuhmann
HOTEL PALAU
Seestraße 23
    Bis dahin war sie nur eine Geschichte aus dem Mund meines angetrunkenen Vaters gewesen, jetzt gab es sie, die Tante: Da lag der schriftliche Beweis. Wer von einer Krankenversicherung angeschrieben wurde, existierte. Und wenn ihr eventuell vorhandene Söhne oder Töchter nicht die Post ins Heim brachten, dann wohnte sie noch hier und konnte jederzeit vor mir stehen. Auf einmal fand ich das ziemlich beunruhigend.
    Was würde mein Vater zu der Aktion sagen? Womöglich könnte er es für Initiative meinerseits halten, und darüber würde er sich in jedem Fall freuen. Hunger hatte ich auch.
    Als ich mich der Rezeption weiter zu nähern versuchte, begann der Schwanz der Katze sich hektisch hin und her zu bewegen und fegte ein kleines Stück Pappe zu Boden, das an der Glasscheibe gelehnt haben musste. Das Tier legte die Ohren zurück und gab einen knurrenden Laut von sich, der mich davon absehen ließ, die Hand in seine Richtung auszustrecken,
die Klingel zu betätigen oder mich nach der vermeintlichen Botschaft zu bücken.
    Â»Hallo? Ist jemand da?«
    Sachte ließ ich den Rucksack zu Boden gleiten.
    Â»Können Sie nicht lesen?«, brüllte es von irgendwoher. »In der Kajüte gibt’s heißen Tee.«
    Ich schreckte hoch, die Katze fauchte bösartig.
    Â 
    KOMBÜSE/KAJÜTE stand in Großbuchstaben aus Bronze über einem der Türstürze. Zwei Stufen, ein verwinkelter Flur mit Garderobe, links eine weiß gestrichene Tür, rechts eine in dunklem Holz. Hinter der Holztür dudelte Musik. Sanfte Trompetenklänge, begleitet von Flöte und Klavier, wanden sich trübsinnig um eine Melodie, die mir bekannt vorkam. Ich blieb stehen, lauschte, jetzt ein Saxofon: If you could see me now. Mein Vater liebte solches Zeug. Dieser Trompeter, Baker, hatte sich in Amsterdam aus einem Hotelfenster zu Tode gestürzt, Drogenrausch, Nervenkrankheit oder sonst etwas Schreckliches, ich hatte nicht danach fragen
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