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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau
Autoren: Veronika Peters
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Jahren nichts dazu beigetragen hatte, diesen blödsinnigen Titel loszuwerden, im Gegenteil. Man würde beim silbernen Klassentreffen auf mein Foto zeigen, fragen »was ist aus der eigentlich geworden?«  – »Ach, die Katia«, würde einer über den Rand seines Proseccoglases ätzen, »sie wurde zuletzt gesehen mit einem Rucksack am Skandinavienkai in Lübeck. Gab es damals nicht so eine Affäre?« Und alle würden schauen, als hätten sie es immer schon geahnt, dass diese Katia es nicht bringen würde.
    Nach der Beerdigung habe ich Elisabeth von diesem ersten Tag an der Küste erzählt und dass ich eigentlich schon wieder weg war. Wir überlegten, wie Ruth meinen Wunsch nach einsam-obdachloser Wanderung ins Verschwinden kommentiert hätte. Ich vermutete, sie hätte nur »Papperlapapp!« geblafft,
begleitet von der gleichen energischen Geste, mit der sie die großen Fenster im Frühstücksraum putzte, einmal hin, einmal her, wisch und weg, der Radius erstaunlich groß für eine so kleine Frau. »Alte Träume und Nirgendwo«, hätte sie geknurrt, »glaubste ja selber nicht, den Quatsch!« Sie hätte es mir noch nachträglich aus dem Kopf gegrantelt, ihre spitzen Fingerknochen auf meinen Schädel knallen lassen, »Herrgott, werd mal erwachsen, Hasenhirn«, und wir hätten uns gemeinsam über meine Albernheit amüsiert. »Ja«, sagte Elisabeth, »so wäre es gewesen.«
    Â 
    Eigentlich bin ich schon wieder weg gewesen, schätzungsweise einen Kilometer.
    Ein schwarz-weißer Vogel mit leuchtend rotem Schnabel flog auf und gab einen schrillen Triller von sich, der mich erschreckte. Meine Jacke zeigte sich dem Wind nicht gewachsen, ließ mir die Kälte auf die Haut und darunter kriechen. Ich überlegte, wen ich zuerst anrufen könnte, stellte fest, dass mein Akku leer war und nicht mal mehr ein schwaches Aufleuchten zustande brachte. Ich nahm mir vor, mit dem Bus bis Kiel zu fahren, von da aus den Zug nach Berlin zu nehmen, zu meinem Vater, bevor ich mir auf der Wanderschaft noch eine Lungenentzündung holte, davon hatte auch niemand was.
    Wie es dazu kam, dass ich an diesem Tag schließlich doch das Palau betrat, kann ich nicht genau erklären. Es wurde zunehmend kälter, der Regen hatte wieder eingesetzt, vielleicht war es die Aussicht auf einen Kaffee, für den ich meine Identität nicht unbedingt preisgeben müsste, oder der Gedanke an die Erklärung, die ich meinem Vater schuldig wäre, wenn ich am späten Abend unangemeldet mit der Bitte um einen Schlafplatz bei ihm klingelte. Möglicherweise hatte ich auch bereits
eine Ahnung von der Eigenartigkeit dieses Ortes und wollte schauen, was innerhalb der Mauern daraus wurde.
    Â 
    Die Tür, durch die der Alte ins Haus verschwunden war, fand sich unverschlossen. Dahinter sah es auf den ersten Blick nicht nach Hotel aus, bestenfalls ein wenig und sehr anders als in meiner von den Erfahrungen eines gelegentlich mitreisenden Kindermädchens geprägten Vorstellung. Aber es war geheizt, angenehm warm, das reichte für den Augenblick. Meine Augen benötigten eine Weile, um sich an das Dämmerlicht im Inneren zu gewöhnen. Ich befand mich in einem nicht allzu großen Raum, von dem einige Türen abgingen. Dielen aus dunklem Holz, teilweise belegt mit orientalisch aussehenden Teppichen, gaben dem Ganzen etwas von der Atmosphäre eines Wohnzimmers, es knirschte gedämpft unter den Füßen. Eine breite Holztreppe wand sich ins obere Stockwerk, auf dem Absatz stand eine antike Truhe mit Metallbeschlägen, für die ich als Kind notfalls gemordet hätte. Seeräuberbeute, Schrumpfköpfe, Gold und Edelsteine, blinde Passagiere, ich selbst, alles wäre in dieser Kiste versteckt worden. Ich hätte sie auf einer Südseeinsel in Opas Garten verbuddelt und genau im richtigen Moment wieder ausgegraben: einen vergessenen Schatz, der es der Heldin möglich machen würde, fortan unbehelligt und frei zu leben. Wie sich später herausstellte, war Bettwäsche drin.
    Das Gebilde an der Seitenwand mochte früher als Schrank mit vorspringender Anrichte gedient haben, jetzt waren zwischen gewundenen Säulen und Schnitzereien, statt Seitenwänden und Türflügeln, Glasscheiben und ein Tresen eingebaut, was sich erstaunlich gut zu einem kleinen Empfangsbereich zusammenfügte: eigenwillig, aber sicher tauglich
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