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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau
Autoren: Veronika Peters
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die Strandkorbfähnchen, nahm jetzt lieber meinen Laptop mit zur
Tante, zeigte ihr neue Fotos, Einkaufsmöglichkeiten im Internet, lustige Videoclips über durcheinanderpurzelnde Kleinkinder und herumhüpfende Katzenbabys, eine alte Aufnahme des Doktor Benn, wie er feierlich sein Gedicht rezitiert, und jeden Morgen die frischen Bilder der Webcam von der Halsunger Seebrücke.
    Â 
    Â»Wieso können die Leute nicht ›Netzkamera‹ dazu sagen?«
    Â»Weil es nur halb so lässig klingt, Tante!«
    Â»Schwachsinn!«
    Bei manchen Stichworten kann ich sie noch heute hören, als ob sie neben mir steht.
    Â 
    Frank besorgte uns mehr von den englischen Literaturverfilmungen, an denen Ruth Gefallen gefunden hatte. Wir schoben die DVDs in den Computer, stellten das Gerät auf den Nachttisch, aßen Elisabeths Kekse und sahen den Janes, Lizzys, Kittys und Emmas zu, wie sie ihr Glück oder Unglück fanden. Ruth schaffte es immer seltener, einen ganzen Film lang wach zu bleiben, aber wenn sie das Ende verschlafen hatte, bestand sie darauf, dass ich ihr alles haarklein erzählte, obwohl sie die Buchvorlagen sowieso besser kannte als jeder von uns. Je nachdem, wie viele Mitgucker ihre Nasen vor dem kleinen Bildschirm zusammengesteckt hatten, wurde dies ein wirres Durcheinander, über dem sie oft genug wieder einschlief.
    Nachdem Ruth, auf Elisabeths Beschluss hin, in die Sommersuite umgebettet worden war, weil wir damit eine Etage weniger zu überwinden und sie dort mehr Platz, stufenlosen Zugang zum Bad und eine schönere Aussicht hatte, wurde das Krankenlager der Tante eine Zeit lang zum nachmittäglichen Treffpunkt der Palau-Mannschaft. Sie kamen und gingen,
brachten Tee, Kaffee und Kuchen mit, picknickten auf Ruths Tagesdecke, krümelten den Bettvorleger voll und erzählten sich Hotelgeschichten von Zechprellern und Angebern, von berühmten Sommergästen, deren Namen ich noch nie gehört hatte, und immer wieder von den »Goldenen Zeiten«, als sich die Leute an der Rezeption noch um die Zimmer gestritten hatten, die Warteliste nach Sympathiewerten gehandhabt wurde und Ruth der Mittelpunkt von allem gewesen war. Ich hörte mir manche Geschichten fünf Mal oder mehr an, amüsierte mich über verschiedene Varianten ein und desselben Ereignisses, hätte viele dieser Stunden gerne eingefroren. Ich sang If I could save time in a bottle … und die Tante sagte: »Bloß keine duselige Musik auf meiner Beerdigung, das müsst ihr mir versprechen!«
    Â 
    Â»Weißt du, was ich in meiner ersten Nacht im Palau gelesen habe?«, fragte ich Ruth, als ich ihr den Tee mit den Tropfen für die Nacht ans Bett brachte.
    Â»Grimm«, sagte die Tante ohne zu zögern und schmunzelte.
    Â»Wie kannst du das wissen?«
    Â»Sag ich dir nicht. Welches Märchen war es?«
    Â»Die Bremer Stadtmusikanten.«
    Â»Sie sind nie bis Bremen gekommen.«
    Â»Stimmt. Schade eigentlich.«
    Â»Wieso? Die hatten es doch schön im Waldhaus.«
    Â 
    Einmal schreckte die Tante mittags aus dem Schlaf hoch, sah mich im Ohrensessel neben dem Bett sitzen, ließ sich zurück in die Kissen fallen, flüsterte »Katia! Wie gut!« und schlief lächelnd wieder ein.
    Wie könnte ich behaupten, dass es schrecklich gewesen ist?

    Â 
    Mitte März wurden, mit den immer größeren Morphiumpflastern, die Schlafzeiten der Tante deutlich länger als die, in denen sie wach war. Den Nachmittagstee verdämmerte sie jetzt nahezu komplett, und die Besuche der restlichen Palau-Mannschaft wurden seltener. Dafür durften die Katzen neuerdings drin bleiben, was sie weidlich ausnutzten, und stets hatte die Tante eine oder zwei, nicht selten sogar drei zusammengerollte Tiere auf den Füßen liegen. Sie hielt mich davon ab, sie wegzuscheuchen: »Die Viecher sind mir lieber als die stinkende Gummiwärmflasche!«
    Â 
    Dann begann die Belegschaft zu schrumpfen, gerade als die Jahreszeit angefangen hatte, in der wir wieder mehr Leute hätten sein sollen. Und zum ersten Mal wurde mir klar, dass ich keine zweite Sommermannschaft mehr erleben würde, dass es stimmte, wenn Elisabeth sagte: »Das Palau ist nicht zu halten.«
    Bascha machte den Anfang. Sie ließ über Ania ausrichten, dass sie diesen Frühling nicht mehr ins Palau werde kommen können, weil ihre Tochter eine Arbeit an der Universität gefunden habe und sie sich fortan ganz
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