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Das Meer in Gold und Grau

Das Meer in Gold und Grau

Titel: Das Meer in Gold und Grau
Autoren: Veronika Peters
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»Verfluchtes Dreckding!«
    Eine zerbeulte Blechdose trudelte vor Ruths Füße.
    Â»Du bist wütend«, stellte sie fest.
    Ich fuhr zu ihr herum: »Fang jetzt bloß nicht an, mich zu
analysieren oder sonst einen Psychomist mit mir anzustellen!«
    Â»Nein, mache ich nicht«, sagte die Tante freundlich und hakte sich bei mir unter. »Ich war auch lange wütend. Anfangs half es sehr gut. Jetzt hat es nachgelassen, das ist besser. Menschen sterben an diesem oder jenem, die einen früher, die anderen später, und in meinem Alter kann man es schon später nennen.«
    Â»So ein Schwachsinn!«
    Â»Mit zwanzig hätte ich die Garantie, dass ich beinahe die fünfundsiebzig erreiche, ein Glück genannt. Was soll ich mich jetzt beklagen?«
    Â»Du hast Grund genug, verdammt!«
    Die Tante legte mir die Hand an die Wange und lächelte: »Ihm zur Seite stand das Mädchen mit den Rätselbrauen und sah scharf aus zornigen Augen auf ihn hin …«
    Â»Hä?«
    Â»Vergiss es.«
    Sie hob Plastiktüte und Müllgreifer vom Boden auf, rieb mit dem Daumen den Sand aus der Mechanik und sagte: »Made in China, Billigschrott, zweimal hingeworfen und schon im Eimer.«
    Mir kam das Bild wieder vor Augen, auf das ich beim Doc einen Blick geworfen hatte, bevor er meiner Bitte gefolgt war, die Patientenakte wieder zu schließen: ein Computerausdruck, Schemen eines Skeletts darauf, übersät von schwarzen Flecken, r.schuhmann am Rand gedruckt mit einem Geburtsdatum, das keinen Zweifel zuließ. Der Doc hatte gefragt, ob er mir noch mehr erklären solle.
    Â»Nein danke, das genügt schon.«
    Der Wind flaute etwas ab, das Gluckern und Schmatzen der
auslaufenden Wellen drängte sich ins Ohr, paarte sich mit dem hohen Ruf des Austernfischers, den mich Heinrich herauszuhören gelehrt hatte.
    Â»Darf ich bei dir bleiben,Tante, so lange es dauert?«
    Â»Lass uns mal schauen, Kleine, wie das alles so werden wird.«
    Â»Warum hast du es mir nicht früher gesagt?«
    Â»Das habe ich versucht.«
    Mir fiel Ruths morgendlicher Besuch auf meinem Zimmer ein, der in einem schier endlosen Monolog meinerseits geendet hatte, und dass die Tante damals vermutlich für nichts weniger Sinn gehabt haben dürfte als die Bekenntnisse eines leichtfertigen Kindermädchens, das sich in ein Liebesabenteuer mit dem Hausherrn verstiegen hatte.
    Â»Es tut mir so leid«, murmelte ich, aber Ruth antwortete: »Das muss es nicht. War vielleicht gut so.«
    Sie nahm wieder meinen Arm, wir spazierten gemeinsam bis zum Haus, hatten es nicht eilig. Sie hielt die Tüte auf, und ich sammelte den angeschwemmten oder achtlos an den Strand geworfenen Mist auf, als gebe es augenblicklich nichts Wichtigeres zu tun.
    Bevor wir hineingingen, rauchten wir noch eine Zigarette in der Elf und sahen Heinrich zu, wie er die Steintreppe hochstieg, seinen Hut vor der Brise zu retten versuchte. Dass seine Augen gerötet waren, mochte am Wind liegen.
    Â»Grüß Gott, die Damen! Wollt ihr euch mal ansehen, was ich soeben gefunden habe?«
    Â»Unbedingt!«, sagte die Tante. »Zeig her!«
    Â 
    In den folgenden Wochen ging es Ruth erstaunlich gut. Der Doc hatte erklärt: »Dass sie keine unnötigen Schmerzen haben muss, dafür sorge ich«, und fürs Erste schien er diesen Job
gut hinzukriegen. Ruth wurde zwar zunehmend müde, legte sich zwischendurch öfter hin und ging früher schlafen, aber ansonsten war ihr kaum etwas anzumerken. Sie strich wie gewohnt durchs Haus, räumte Bücher von hier nach da, ging gelegentlich sogar noch auf einen ihrer Müllspaziergänge, wenn sie unbeobachtet entkommen konnte. Sie warf mehrmals täglich fluchend Katzen aus Küche und Speiseräumen hinaus, faltete mich zusammen, wenn sie mich beim Kaugummikauen während des Servierens erwischte, reparierte Glühbirnen, Türklinken, Wasserhähne und rauchte zu viel. Eigentlich alles wie immer.
    Ãœber Weihnachten und Silvester hatten wir Gäste im Haus, die aufwendig-feiertäglich versorgt werden wollten, so dass für die an solchen Tagen üblichen Sentimentalitäten glücklicherweise keine Zeit blieb. Von Ruth war unter wüsten Drohungen die Weisung ausgegangen, dass vorerst unter gar keinen Umständen über ihre Krankheit gesprochen werden durfte, was mir nicht schwerfiel. Wir hielten so etwas wie Normalität aufrecht, so lange es eben
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